Der erste Verdacht
Gefrierschrank zu werfen, bevor sie die Küche verließ. Er stand neben dem Kühlschrank und war ebenso groß wie Irene.
Noch nie hatte sie einen so wohl gefüllten Gefrierschrank gesehen. Kein Platz war verschenkt worden. Es würde mehrere Stunden dauern, ihn zu durchsuchen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als die Tür wieder zu schließen.
Sanna hatte sich inzwischen beruhigt, und Tommy hatte eine Unterhaltung mit ihr begonnen. Als Irene mit dem Küchenkrepp eintrat, hellte sich seine Miene auf, und er sagte: »Hier kommt Irene mit dem Küchenkrepp. Wir dachten schon, du hättest dich verlaufen.«
»Ein Glück, dass ich früher an Orientierungsläufen teilgenommen habe«, meinte Irene lächelnd, als sie Sanna das Küchenkrepp reichte.
Sie nahm es entgegen, ohne Irene anzusehen, wischte sich damit das Gesicht ab und schnäuzte sich lautstark. Dann knüllte sie das Papier zusammen und warf es in den offenen Kamin.
»Was haben Sie hier zu suchen?«, fragte sie unerwartet scharf.
»Genau das wollten wir Sie auch gerade fragen«, erwiderte Tommy.
»Das ist meine Wohnung.«
»Noch nicht ganz.«
»Es ist mein gutes Recht, hier zu sein«, erwiderte sie trotzig. Sie schien sich gefasst zu haben und wieder ganz die alte zu sein. Wenn wir sie dazu bringen wollen, die Wahrheit zu sagen, müssen wir sie aus dem Gleichgewicht bringen, dachte Irene. Sie beschloss, sich auf ihre Intuition zu verlassen.
»Wir suchen den Finger«, sagte sie.
Das war einfach so ins Blaue gesagt, aber die Wirkung übertraf alle Erwartungen. Sanna erstarrte und sah Irene fassungslos an.
»Sie können … davon nichts wissen«, flüsterte sie.
»Wir haben den Finger gefunden, den Joachim noch in seinem Besitz hatte. Er schrieb auch, dass noch andere einen Finger bekommen hätten …«
Irene hielt absichtlich inne und zog viel sagend eine Augenbraue hoch. Sanna deutete das, erregt wie sie war, als eine Feststellung.
»Dann sind wir … des Todes.«
Mit aufgerissenen Augen schaute sie von Tommy zu Irene.
»Wer hat Ihnen mit dem Tod gedroht?«, fragte Irene rasch. Sanna schüttelte den Kopf und bewegte ihre bleichen Lippen.
Es gelang ihr jedoch nicht, irgendwelche verständlichen Worte zu äußern. Sie stand offensichtlich Todesängste aus.
»Wer bedroht Sie?«, wiederholte Irene.
»Ich weiß nicht. Ich muss nachsehen, ob Kjell den Finger noch hatte und ob er irgendwo versteckt ist!«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann wieder, am ganzen Körper zu zittern.
Tommy erhob sich und trat auf Sanna zu. Irene sah mit Erstaunen, dass er sich auf die Armlehne des Sessels setzte und ihr vorsichtig einen Arm um die Schultern legte. Sanna ließ das merkwürdigerweise zu. Leise sagte Tommy wie zu einem Kind:
»Hören Sie, Sanna. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Wir wissen von den abgetrennten Fingern. Hat man sie Ihnen geschickt, um Sie zu erpressen?«
»Ja. Und jetzt auch … Ludwig«, flüsterte sie.
»Ludwig und Sie sind also bedroht worden«, stellte Tommy fest.
Sanna nickte, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.
»Weshalb werden Sie jetzt bedroht? Geht es immer noch um das Geld?«, warf Irene ein.
Nach einer recht langen Zeit nahm Sanna ihre Hände wieder vom Gesicht. Sie wirkte sowohl verzweifelt als auch resigniert.
»Ich muss den Finger finden, den Kjell bekommen hat. Sonst … sonst stößt Ludwig und mir etwas zu!«
»Sie bekamen also vor drei Jahren auch einen Finger.«
»Ja. Aber da ging es nur um Geld. Reine Erpressung.
Jetzt … wo man Thomas gefunden hat … will jemand die Finger zurückhaben!«
Die ganze Geschichte wirkte ausgesprochen makaber. Sanna hatte jetzt schon fast einen Monat lang unter großem Druck gestanden. Irene war klar, warum sie in der Diele so reagiert hatte. Natürlich hatte sie geglaubt, der Mörder werde seine Drohung wahr machen.
»Was haben Sie mit Ihrem Finger gemacht?«
»Meinem …? Ich habe ihn sofort weggeworfen! In die Mülltonne, dort, wo ich damals wohnte.«
Die Antwort kam so prompt, dass sie überzeugend wirkte.
»Erhielten Sie den Finger hier in Schweden?«
»Ja. Ich war im August hierher zurückgekommen. Der Finger traf Ende September ein.«
»Was stand in der beigefügten Mitteilung?«
Die Knöchel von Sannas zu Fäusten geballten Händen wurden weiß. Dann begann sie, genau wie ihre Mutter die Hände zu ringen.
»Es lag doch wohl ein Zettel bei dem Finger«, vermutete Irene.
Jetzt improvisierte sie frei, aber sie ging davon aus, dass es sich bei
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