Der erste Versuch
Sportboote.
An der in leichtem Bogen verlaufenden Hafenpromenade
standen kleine Häuser. Die mehr als kopfgroßen Steine des
groben Kalksteinpflasters glänzten von zahllosen Schritten,
von bloßen Füßen der Sklaven, den Sandalen der Römer,
Soldatenstiefeln, den folternden Pfennigabsätzen, Leder- und
Gummisohlen, von den Hufen der Pferde, eisenbeschlagenen
Rädern, schleichenden Autoreifen. Nichts hat dem Stein
geschadet, eher zu seinem Glanz beigetragen, zu seiner
überdauernden Erhabenheit.
Alina wusste vom Kolosseum in Pula, das dem in Rom kaum
nachstand, und sie nahm sich vor, es mit Milan aufzusuchen.
Eine Weile spazierte Alina an der Kaimauer auf und ab,
musterte flüchtig in Ständen ausgelegte Waren, wich Passanten
und Gruppen von Touristen aus.
Dabei aber hielt sie Ausschau nach einem Wasserfahrzeug,
das sie zur Insel bringen könnte.
Endlich sah sie in unmittelbarer Nähe einer Steintreppe, die
zum Wasser hinunterführte, einen jungen Mann an Bord eines
Kajütbootes mit einer Hochseeangel hantieren. Sie stieg hinab,
sah ihm eine Weile zu, bis er ihrer gewahr wurde und ab und
zu misstrauisch zu ihr herübersah.
„Hallo, Kapitän“, grüßte Alina. „Ich suche einen, der mich
übers Wasser transportiert. Könntest du das tun?“
Er sah sie an, lächelte. „Kommt darauf an. Normalerweise
nicht.“
„Worauf kommt es an?“ Alina bemühte sich um einen
leichten, eher flapsigen Tonfall.
„Ob mir der Passagier sympathisch ist“, er musterte Alina
von oben bis unten, „welche Gegenleistung er bietet, wann und
wohin er will.“
„Bisschen viel auf einmal. Also…“ Alina nahm die Pose
einer römischen Statue, eines tanzenden Fauns ein,
ausgegraben in Pompeji, nachgebildet aus Gips und aufgestellt
in Mutters Rosenrabatte. „Sympathisch müsste ich dir doch
sein, oder? Mit der Gegenleistung sieht‘s allerdings schon
schlechter aus. Drei Bons? Wann? So bald wie möglich, wobei
ich an keinen festen Zeitpunkt gebunden bin. Und wohin? Zur
Insel Unije.“
Der Mann lachte auf, legte seine Angel ab und setzte sich
heftig auf die Bordwand seines Bootes, sodass es ins
Schaukeln geriet. „Unije“, echote er. „Sie will mit mir nach
Unije.“
„Was ist daran so lustig?“
„Dass man dort nicht hinkommt. Als normaler Mensch nicht
und überhaupt.“
Alina stutzte. „Weshalb, um alles in der Welt“, dachte sie,
„sollte man nicht…?“ Laut behauptete sie: „Mich lassen sie!“
„Dich! Du bist wohl nicht von hier?“ Der Mann betrachtete
sie mit schief gehaltenem Kopf; das Lachen hatte er
aufgegeben.
„Nein. Aber zur Insel muss ich. Ich bin dort angemeldet“,
schwindelte sie. „Was ist nun – fährst du mich?“
„Wenn du angemeldet bist, warum holt man dich dann nicht
ab wie andere? So läuft das nämlich bei denen.“
„Verdammt“, dachte Alina. „Mein – Bruder arbeitet da, ich
will ihn überraschen“, beteuerte sie.
„Der überraschte Überrascher. Da kommst du nicht hin“,
wiederholte der Mann.
„Was bauen die dort?“ Alina versuchte, im Gespräch dem
Mann näher zu kommen. Außerdem war es schon interessant,
was man hier vor Ort, über die Informationen im Netz hinaus,
von diesem HAARP-Unternehmen wusste. Schließlich würde
es auch eine Gerüchteküche geben.
„Die bauen ein riesiges Kraftwerk, um den Strompreis zu
manipulieren. Erst machen sie die Energie billiger, bis andere
Erzeuger in die Knie gehen, dann diktieren sie. Das kennt man
doch.“
„Die anderen werden nicht schlafen.“
„Deshalb passen die ja auf, die Luchse, und lassen sich nicht
in die Karten schaun.“
„Ich glaube nicht, dass es so schlimm ist. Sag, dass du nicht
willst, und ich such mir eben ein anderes Boot.“
„Pass auf: Übermorgen fahre ich nach Losinj. Man kommt
unmittelbar an Unije vorbei. Nehmen sie dich an, gut, wenn
nicht, müsstest du entweder mit mir kommen – ich bleibe drei
Tage – oder eine andere Rückfahrmöglichkeit suchen.“
„Na, das ist doch ein Wort.“ Dennoch zögerte Alina: „Zwei
Tage warten – sollte es keine andere Möglichkeit…“ Laut
sagte sie: „Kann ich es mir überlegen?“
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Ich fahre
übermorgen Punkt neun Uhr ab. Wenn du da bist, bist du da.“
„Okay – jedenfalls danke ich dir.“ Alina hob grüßend die
Hand und wandte sich zum Gehen.
„He – hast du heute Abend schon etwas vor?“, rief er ihr
nach.
Sie wandte sich lachend um. „Ja“, rief sie zurück und winkte
heftiger.
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