Der erste Versuch
Außerdem war sie sehr gespannt, wie er sich
in den immerhin fast drei Jahren verändert haben würde. Und,
das Wichtigste, wie sie gegen sich behauptete: Es galt, zwei
Wochen Zeit totzuschlagen. Tiefere Gründe für ihren
Wiedersehenswunsch, anknüpfend an das, was war, wollte sich
Alina nicht eingestehen.
Sie legte sich gedanklich zurecht, wie sie vorgehen wollte,
um Milan auf seiner Insel aufzuspüren. Darüber schlief sie ein.
Irgendwann nachts wachte sie auf, ihr war, als dringe von
draußen Stimmengewirr in ihre Kabine, obwohl die Fester
Lärm hervorragend dämmten. Sie verspürte noch die leichten
Erschütterungen, wie sie beim Rangieren der Kabine
entstehen. Beruhigt schlief sie wieder ein.
Nach der Morgentoilette erwartete Alina einigermaßen
hungrig das Frühstück. Als dieses nicht serviert wurde und der
Abfahrtzeitpunkt um mehr als zehn Minuten überschritten war,
wurde sie unruhig. Sie öffnete das Fenster und stellte
befremdet fest, dass sich der Zug mit ihrer Kabine in einem
äußerst tristen Areal eines Güterbahnhofs auf einem
Abstellgleis befand. Sie beugte sich hinaus und bemerkte, dass
eine größere Anzahl von Reisekabinen das Schicksal der ihren
teilte. Dutzende Meter linker Hand standen einige offenbar
erregt debattierende Leute neben dem Gleis.
Alina betätigte mit aufkommendem Frust den
Reiseinformator und erfuhr, lapidar vorgetragen, dass sich aus
technischen Gründen die Weiterfahrt um zwei Stunden
verzögern könne; statt des Frühstücks werde in Kürze ein
Reisepack ausgehändigt. Man bitte um Verständnis. Und die
phlegmatische Stimme brach ab.
In Alina stieg zunehmend Ärger an, und nach und nach war
sie geneigt, der Eisenbahn die Schuld zuzuweisen, falls aus
dem Treffen mit Milan nichts werden würde. Wütend rief sie
die Information erneut: „Welcher Art, verdammt nochmal, sind
die technischen Gründe und wann genau geht‘s weiter, will ich
wissen! Ich versäume Termine!“
„Bitte beruhige dich; wir tun wirklich unser Möglichstes.“
Die Worte kamen nunmehr um Nuancen lebhafter.
„Das ist offensichtlich nicht genug! Was also ist los?“ Alina
bemühte sich, ihren Ton scharf zu halten. „Was schon bringt
es, sich mit der Kuh anzulegen“, dachte sie.
Die andere zögerte. „Wir haben eine, eine
–
Arbeitsverweigerung.“
„Was habt ihr?“ Alina wollte ihren Ohren nicht trauen.
„Die, die Dispatcher bedienen gegenwärtig die elektronische
Rangiersteuerung der Reisekabinen nicht, weil…“, sie brach
ab.
„… bedienen sie nicht – weil was!?“
„Ein Exempel gegen…“
„Na!“
„… gegen die Erstklässler.“
Alina schwieg betroffen. Ein Streik also gegen die so
genannten Bessergestellten. In diesem Falle gegen jene, die
sich eine Reisekabine leisteten. „So ein Schmarren, ein
blöder!“, rief sie eingedenk ihrer pekuniären Lage. „Und was
wird nun?“
„Wir steuern manuell, in wenigen Minuten sind wir so weit.
Allerdings, du verstehst…“, die Dame ließ einigen Eifer
erkennen, „die Anschlüsse müssen nunmehr neu gecheckt
werden; Verspätungen werden bleiben.“
„Verdammter Mist!“ Doch Alina mäßigte sich. „Kommt so
etwas öfter vor?“
„In der letzten Zeit schon.“
„Und – wie verhält sich die Bahngesellschaft gegenüber den
betroffenen Reisenden?“
Die Frau antwortete nicht sogleich. „Es ist höhere Gewalt“,
sagte sie dann. „Die Unterwegsversorgung ist gesichert.“
Wie zur Bestätigung rutschte der angekündigte Reisepack in
die Entnahmebox.
„Na fein“, sagte Alina sarkastisch und unterbrach die
Verbindung. Sie entnahm dem Behälter den Frühstücksersatz,
biss wütend in ein Sandwich, warf sich aufs Bett, aber der
Frust ließ sie keine Ruhe mehr finden.
Alina erreichte Pula zum Mittag. Schon von unterwegs hatte
sie des Öfteren versucht, über Mobilfunk Verbindung zu dieser
Großbaustelle auf der Insel Unije zu erlangen. Sie bekam stets
die lakonische Antwort, dass dorthin über die normalen Netze
keine Anschlüsse bestünden; sie möge sich um eine lizenzierte
Einwahl bemühen.
Zwar ein wenig enttäuscht, aber nicht entmutigt ließ Alina
sich zum Hotel „Ulika“ in der Nähe des Hafens fahren, machte
sich frisch und begab sich auf Erkundung.
Augenblicke lang vergaß Alina den eigentlichen Grund ihres
Aufenthalts in der Stadt. Sie genoss den lauen, sonnigen
Nachmittag, erfreute sich am bunten Menschengewirr,
schnupperte den Geruch des Hafens und belustigte sich am
scheinbaren Chaos der unzähligen ankernden
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