Der erste Weltkrieg
Gräben zu stürmen und von dort weiter gen Osten bis zur Kapitulation des Kaisers.
Was die Alliierten jedoch ungenügend berücksichtigt hatten, war, dass an der Somme seit 1914 wenig gekämpft worden war. Die deutsche Seite hatte diese relative Ruhe benutzt, um das Grabensystem auszubauen und sehr tiefe Unterstände für die Mannschaften auszuheben. Hier lebten sie wie die Maulwürfe und überlebten Rawlinsons Artilleriebombardement. Als die Briten am 1. Juli 1916 zum Sturmangriff ansetzten, pflanzten ihre Gegner, aus den Unterständen hervorgekrochen, schnellihre MGs auf und mähten den Feind reihenweise nieder. Was deren Verluste noch erhöhte, war die Entscheidung Rawlinsons, seine Männer in Wellen hinauszuschicken. So kam es, dass von den 60.000, die mit den ersten Wellen durchs Niemandsland stürmten, die Hälfte innerhalb einer halben Stunde entweder getötet oder verwundet in die Granattrichter fiel. Die Verteidiger verloren derweil 8000 Mann. Bis zum 29. Juli kamen in erneuten Durchbruchsversuchen weitere 90.000 Briten hinzu – genug, um die Kabinettsmitglieder in London sehr nervös zu machen, die mit solchen Verlustzahlen nie gerechnet hatten und die Tragödie nun der Bevölkerung in der Heimat erklären mussten.
Doch das Sterben ging bei Verdun und an der Somme nicht nur während des Herbstes 1916 weiter. Es fanden sich andere Generäle, die das Rezept zum Sieg gefunden zu haben glaubten. So überzeugte General Robert Nivelle, der Mitte Dezember der neue französische Kommandeur im Westen geworden war, die Politiker, dass er im Jahre 1917 den siegreichen Durchbruch werde erzwingen können. Im April begann er daher seine große Offensive bei Chemins des Dames zwischen Soissons und Reims. Durch die Erfahrungen seiner Vorgänger gewarnt, hatte er Verluste von 15.000 Mann vorhergesagt. Doch dann stiegen diese sehr schnell auf 100.000, so dass auch dieser Angriff abgebrochen werden musste.
Historiker haben seit Jahren eine Antwort auf die Frage zu finden versucht, warum Soldaten auf beiden Seiten bei einem Sturmangriff mit aufgepflanztem Bajonett sehenden Auges in den sicheren Tod rannten. Sie haben auch gefragt, wieso sie bereit waren, während der oft langen Pausen mit geringer Kampftätigkeit in den Schützengräben zu hocken, umgeben von Leichen, Ratten, Läusen und Schlamm. Gewiss hat der amerikanische Historiker Jay Winter Recht, wenn er den kameradschaftlichen Zusammenhalt, Pflicht- und Ehrgefühl sowie der Vaterlandsliebe einen hohen Stellenwert einräumte. Hinzu kam sicherlich auch das militärische Disziplinarrecht, unter dem sie alle standen und das die Befehlsverweigerung schwer ahndete. Aus allen diesen Gründen ist die Zahl der wegen militärischerVergehen Abgeurteilten und Hingerichteten relativ gering geblieben. Die höchsten Ziffern erreichte Italien, wo man 4028 Todesurteile verhängte, von denen 750 ausgeführt wurden. Die Engländer folgten mit 3080 bei 346 Exekutionen und die Franzosen mit 2000 und 700 Hinrichtungen. Die geringsten Ziffern wiesen die Deutschen auf: 150 Todesurteile, von denen 48 vollstreckt wurden. Das deutet darauf hin, dass die meisten Soldaten die Gefahren ihres Frontlebens bereitwillig ertrugen und die Drohung mit der Militärgerichtsbarkeit nicht sehr wichtig war.
Indessen, je länger der Krieg dauerte und der immer wieder erhoffte Durchbruch trotz der Millionenopfer weder von der einen noch von der anderen Seite erzielt wurde, desto lauter wurde in den Unterständen und in der Etappe die Frage nach dem Sinn des großen Sterbens. Die Friedenssehnsucht und der Wunsch, endlich nach Hause gehen zu können, wuchs nach den Schlachten des Jahres 1916. Während der Nivelle-Offensive erreichte die Desillusionierung auf der französischen Seite schließlich den Höhepunkt, als es zu Meutereien kam. Dabei war gleichwohl interessant, wie die Betreffenden ihre Weigerung rechtfertigten. Sie gaben an, sich im Streik gegen die Urlaubspraxis der Armee und die Verproviantierung zu befinden. Sie waren nicht gegen den Krieg an sich, sondern angesichts der hohen Verluste gegen eine Fortführung der von Nivelle befohlenen tödlichen Sturmangriffe. Die Reaktion des französischen Oberkommandos war schnell und hart. Die «Streiks» wurden so prompt unterdrückt, dass sie der deutschen Seite völlig entgingen. An die 49 Soldaten wurden hingerichtet. Nivelle verlor zwar nicht seinen Kopf, wurde aber durch Pétain ersetzt.
An der Ostfront waren die Erfahrungen der feindlichen
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