Der erste Weltkrieg
kam der Anblick verzweifelter Flüchtlinge. Allein im deutschen Besatzungsgebiet im Norden der Ostfront verließenvier Millionen Menschen ihre Wohnungen. Verbitternd wirkten auch die zerstörten Dörfer. Denn um dem Gegner Ressourcen vorzuenthalten und dessen Vormarsch zu verlangsamen, griff man häufig zu einer Politik der verbrannten Erde. Angesichts des Massensterbens an den Fronten im Osten und Süden und des Elends der Zivilisten, die häufig zwischen die Gefechtslinien gerieten, machte sich auch hier eine Desillusionierung und Friedenssehnsucht breit. Sie manifestierte sich bis 1917 weniger in Meutereien, wie sie die französische Armee erlebte, sondern mehr in den hohen Kriegsgefangenenzahlen. Viele Russen und Rekruten aus dem Habsburger Reich zogen die Gefangenschaft dem Tod oder der Verwundung vor und gaben damit ihrem Protest gegen die Fortsetzung auf eine andere Weise Ausdruck. Unter den Zurückbleibenden wuchs inzwischen die Neigung, die Bestimmung des Kriegsendes nicht mehr allein ihren politischen und militärischen Führern zu überlassen.
3. Die Totalisierung des Krieges an der Heimatfront
Während Millionen von Männern im August 1914 weitgehend ahnungslos über das ihnen Bevorstehende an die Front zogen, war von der späteren Totalisierung des Krieges auch in der Heimat anfangs noch wenig zu spüren. Gewiss, die Kriegsbegeisterung wurde bei vielen durch dunkle Ahnungen und die Furcht vor den unvermeidlichen Todesbenachrichtigungen gedämpft. Es kam vielerorts auch zu einem Run auf die Banken. Vor allem die Mittelklassen, die Ersparnisse hatten, kauften auf Vorrat ein. Unter dem ersten Schock der Mobilmachungen stieg in den Städten kurzfristig auch die Arbeitslosigkeit. Bald schon wurden aber nicht nur Arbeitskräfte benötigt, um die leeren Stellen der Eingezogenen zu füllen. Die Fabriken suchten nach zusätzlichen Arbeitskräften, um die Bestellungen der Armee mit ihrem großen Bedarf an Waren und Lebensmitteln aller Art zu befriedigen. So kam es, dass die Leicester Boot and Shoe Operatives Union in England Ende 1914 feststellen konnte, dass zum ersten Male in der Geschichte dieser Gewerkschaft keines ihrer Mitglieder Arbeitslosenunterstützung bezog. Und je mehr sichder Krieg in die Länge zog und Soldaten verschlang, desto größer wurde einerseits die Suche nach abkömmlichen Arbeitern für die Front und andererseits das Drängen der Unternehmer, die Produktion nicht durch einen allzu großen Abzug der Arbeitskräfte zu gefährden.
Eine der wichtigsten Folgen dieser Entwicklung – mit tiefgreifenden Folgen auch für die Nachkriegszeit – war, dass die Frauenarbeit sich ausbreitete. Zwar war der Anteil der arbeitenden Frauen in den Industrieländern Westeuropas schon vor 1914 relativ hoch. In Deutschland betrug er rund 30 %. In England waren vor dem Kriege an die 3,3 Millionen Frauen in Industrie und Handel und weitere 1,6 Millionen als Hausangestellte beschäftigt. Bis 1918 hatte sich die Ziffer für die erste Kategorie auf 4,8 Millionen erhöht. Hingegen war die Zahl der Hausangestellten auf 1,2 Millionen gesunken. Gleichwohl ergibt sich ein Zuwachs während der Kriegsjahre von 1,1 Millionen. Auch in Frankreich stieg der Satz der arbeitenden Frauen auf 33 %, in Russland gar auf 43,2 %. Die Firma Krupp in Essen, die vor 1914 weniger als 3000 Frauen beschäftigte, hatte im Januar 1918 28.000 Arbeiterinnen und Angestellte.
Ein Grund für diesen Anstieg der Frauenarbeit war ein durchaus materieller: Je länger der Krieg dauerte, desto stärker machte sich die durch ihn heraufbeschworene Inflation im Haushaltsbudget bemerkbar. Unter diesen Umständen hatten viele Frauen keine andere Wahl, als in die Fabrik zu gehen, zumal wenn ihre Männer eingezogen, und erst recht, wenn sie gefallen waren. Denn die Entschädigungen, die der Staat den Soldatenfamilien zahlte, waren zu gering, um das Lebenswichtigste zu bezahlen. In dieser Beziehung waren die Kriegerwitwen besonders schwer betroffen. Zu ihren seelischen Schmerzen und der Aufgabe, ihren Kindern den Tod des Vaters zu erklären und bewältigen zu helfen, kamen noch die wirtschaftlichen Sorgen.
Über die Lage italienischer Kriegerwitwen, von denen es etwa 200.000 gab, wissen wir, dass sie statt einer Rente zuerst nur eine kleine Kompensationszahlung erhielten, von der dann auch noch 10 % von der Steuerbehörde einbehalten wurden. Erst mit der Gründung der «Assosiazione Madri e Vedove dei Caduti inGuerra» brauchten sich diese Frauen
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