Der erste Weltkrieg
erzielen; doch im Vergleich zu den Schlachten der folgenden Jahre ging es bis auf weiteres relativ gemäßigt zu. Noch war der Hass auf den Gegner gedämpft, wie sich zu Weihnachten 1914 zeigte. Damals kam es an verschiedenen Abschnitten zu einem unausgesprochenen Waffenstillstand. Man wünschte sich übers Niemandsland hinweg «Frohe Weihnachten», stellte Kerzen auf und sang die vertrauten Lieder. Es gab sogar Verbrüderungen, die freilich von den Offizieren sofort verboten wurden.
Auch im Osten bemühte man sich im ersten Kriegsjahr, eine Eskalation zu einem hasserfüllten Kampf bis aufs Messer, bei dem der beste Feind ein toter Feind war, zu verhindern. So wurden die Hunderttausende österreichisch-ungarischer Kriegsgefangener,die die Russen machten, selbst in den fernen Lagern des unwirtlichen Sibiriens nach den Regeln des Völkerrechts behandelt, bis diese später angesichts des wachsenden Chaos im Zarenreich mehr und mehr über Bord geworfen wurden. Freilich, ab 1915 war die Totalisierung und Brutalisierung des Konflikts nicht mehr zu leugnen. Dafür zwei drastische Beispiele:
Der Ortsname Verdun verkörpert bis auf den heutigen Tag in der Erinnerung der Deutschen und der Franzosen das Massensterben des Ersten Weltkriegs. Die Schlacht, die auf beiden Seiten ungeheure Verluste verursachte, beruhte auf einem Plan Erich von Falkenhayns, des Nachfolgers des an der Marne gescheiterten Moltke. Er ging von der wohl richtigen Annahme aus, Verdun habe für die Franzosen eine so hohe symbolische Bedeutung, dass sie alles tun würden, um die Festungen in jenem Frontabschnitt nicht preisgeben zu müssen. Sie würden, so kalkulierte Falkenhayn weiter, dorthin Verstärkungen werfen, und die zu erwartenden Verluste würden ein buchstäbliches Verbluten der französischen Armee bedeuten.
Zur Vorbereitung der Eroberung Verduns zogen die Deutschen an die 1300 Geschütze zusammen, die am 22. Februar 1916 an einem schmalen Frontabschnitt ein wahrliches Höllenfeuer entfachten. Dabei wurden auch Giftgasgranaten eingesetzt. In dem nachfolgenden Infanterieangriff konnten die Deutschen am 25. Februar die Festung Douaumont erobern, deren Umgebung zu diesem Zeitpunkt wie eine Mondlandschaft aussah. Tags darauf wurde der französische General Philippe Pétain mit der weiteren Verteidigung des Abschnitts beauftragt. Er brachte alle greifbaren Geschütze gegen den deutschen Vormarsch in Stellung, deren Granaten nun den Eroberern schwere Verluste zufügten. Frische französische Truppen wurden herangeführt, die den Boden – ungeachtet der Verluste, die sie erlitten – bis zur letzten Patrone verteidigten. Bis zum April standen diese Verluste bei 89.000, während Falkenhayn die schmerzliche Entdeckung machte, dass die der deutschen Seite nur etwas geringer waren.
Der Kampf wogte nun hin und her. Am 29. Mai eroberten die Deutschen eine weitere strategische Stellung mit dem bezeichnendenNamen «Mort Homme». Acht Tage später fiel die Festung Vaux. Aber die Franzosen gaben nicht auf, und am 2. Juli musste Falkenhayn die Offensive einstellen. Der Durchbruch und das vom Kaiser am 1. April vorschnell erklärte Ende des Krieges wurden nicht erreicht. Im Gegenteil, in den folgenden Monaten konnten die Franzosen die Festungen Vaux und Douaumont zurückerobern. Insgesamt verloren beide Seiten je eine halbe Million Soldaten. Sie verschossen an die 40 Millionen Granaten.
Der Hauptgrund für den Abbruch der Schlacht bei Verdun durch die Deutschen ist in einer Entlastungsoffensive zu suchen, die die Engländer ab dem 24. Juni an der Somme starteten. Auf die riesigen Kosten an «Menschenmaterial», das diese Schlacht verschlang, ist bereits hingewiesen worden: 60.000 auf britischer Seite am ersten Angriffstag; über eine Million bis zum Ende des Kampfes im Herbst 1916.
Für ein Verständnis dieser Verlustzahlen ist jedoch auch die Evolution der Taktik an der Westfront bedeutsam. Ähnlich wie Falkenhayn bei Verdun, planten die Engländer unter General Rawlinson einen tagelangen Artillerieangriff. Zu diesem Zweck hatte er über 1400 Geschütze an einem ca. 20 Kilometer langen Frontabschnitt aufgestellt. In den letzten Junitagen regneten dann an die 1,5 Millionen Granaten auf die deutschen Stellungen nieder. Rawlinson nahm an, dass nach diesem Bombardement auf der deutschen Seite alles Leben ausgelöscht sei. Die britischen Truppen brauchten seiner Ansicht nach nur durch das Niemandsland mit seinen Stacheldrahtverhauen zu den deutschen
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