Der erste Weltkrieg
«gemeine Volk» vergnügte sich im Fußballstadion oder beim Windhundrennen. Nur bei den Öffnungszeiten der Kneipen wurden die englischen Städte von der Regierung schon früh ermächtigt, das Ende des Bierausschanks um 21 Uhr zu verordnen. Einige Städte führten neue Öffnungszeiten schon bald nach Kriegsbeginn ein, wohl auch um dem Alkoholkonsum unter Fronturlaubern oder Rekruten aus nahe gelegenen Garnisonen eine Grenze zu setzen.
Doch dann legte sich angesichts der hohen Verlustzahlen schon bald eine bleierne Traurigkeit über die britischen Städte und Dörfer. Mehr und mehr Familien trugen Trauerflor. Man stand sich bei; man verzichtete; man war bereit, im Wissen um die Opfer der Soldaten an der Front selber Opfer zu bringen. Der kleine nachbarliche Scherz wurde durch gemeinsam vergossene Tränen und tröstende Worte verdrängt.
Was jenseits solcher nachbarlichen Solidaritäten die Stimmung der Bevölkerung in Großbritannien sicherlich auch stärkte, war, dass die Versorgung, anders als in Zentraleuropa, nie zusammenbrach. Zwar hatten die Deutschen mit ihrem U-Boot-Krieg darauf gehofft, den Feind auszuhungern. Aber die Lebensmittelzufuhr aus Übersee und vor allem von Getreide kam nie zum Erliegen. Konvois brachten die Dampfer heil über den Atlantik, und der Anbau von Getreide und Kartoffeln im eigenen Lande wurde angekurbelt. Rationierungen und Zuteilungen, die freilich nie sehr systematisch waren, taten ein Übriges, um die Bevölkerung im Großen und Ganzen zufrieden zu stellen. Das Wetter spielte auch mit. Gab es in der ersten Hälfte des Jahres 1917 eine Kartoffelknappheit, so wurde diese durch die nachfolgende gute Ernte schnell beseitigt.
Wenn es zu Protesten kam, richteten sich diese nicht gegen die Regierung, sondern gegen Einzelhändler, die in den Verdacht gerieten, Lebensmittel zu horten. Im Jahre 1918 wurde ein Ladenbesitzer von Demonstranten aufgefordert, Margarine zum Verkauf zur Verfügung zu stellen, woraufhin die Polizei ihn zwang, seinen Keller zu öffnen und die Margarine den Wartenden anzubieten. Andere Proteste richteten sich gegen Preistreiberei. Im Januar 1918 demonstrierten Arbeiter aus den Munitionsfabrikenvon Manchester vor dem dortigen Rathaus für ein zentralisiertes Zuteilungssystem.
Dem amerikanischen Historiker Jay Winter zufolge verbesserte sich die Volksgesundheit in England gar, weil vor allem jungen Menschen eine ausgewogenere Diät zuteil wurde, die die Behörden z.B. in den Ganztagsschulen zur Verfügung stellten. Dahinter stand die peinliche Entdeckung vieler Musterungsärzte, dass Rekruten aus den Slums der Industriestädte oft so unterernährt waren, dass sie als frontuntauglich eingestuft werden mussten. Die Reaktion der alarmierten Behörden darauf war, eine bessere Ernährung zu propagieren. So kam es zu der paradoxen Situation, dass die Kindersterblichkeit in England und Wales von 100 Indexpunkten im Jahre 1911/13 auf 87 Punkte im Jahre 1918 zurückging, während die Zwanzigjährigen an der Front wie die Fliegen starben.
Zusammenfassend lässt sich für die britische Heimatfront daher sagen, dass das Leben aufgrund der Teuerung zwar schwerer geworden war. Aber wenn London die diversen Versuche, einen Kompromissfrieden zu schließen, nicht ernsthaft verfolgte, so lag dies auch daran, dass die Stimmung in der Bevölkerung relativ gut blieb und sie daher weit weniger als die Menschen in Zentraleuropa bereit war, einen solchen Frieden zu unterstützen.
Soweit es die Standhaftigkeit seiner Bevölkerung betraf, hatte Frankreich den Vorteil, dass sein Agrarsektor noch sehr groß war. Im Gegensatz zu Deutschland und England lebte die Mehrheit der Franzosen nicht von der Industrie, sondern von der Landwirtschaft und konnte sich daher relativ gut selbst und auch den Strom der Flüchtlinge aus dem Norden versorgen. Von der Versorgungsfrage her gesehen, verlief die Entwicklung an der Heimatfront daher ähnlich wie in Großbritannien. Mochte während der Marne-Schlacht und gelegentlich auch später eine Panikstimmung geherrscht haben, man war doch stolz auf die Leistungen der Armee, die einen gefährlichen Angreifer gestoppt hatte. Nach dem Eintritt Amerikas stieg die Zuversicht, dass man den Sieg über die «Boches» eines Tages schon erringen werde. Auch die seelischen Kräfte der vielen kleinen Gemeinden,mit den bald täglich eintreffenden Todesnachrichten fertig zu werden, müssen hoch veranschlagt werden. Man hielt einfach zusammen – auch in den
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