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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Berghahn
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auch deren vorrangige Versorgung nicht besser wurde und viele der Kriegerfrauen infolge des Massensterbens an der Front selber in Not geraten waren, richtete sich das Ressentiment zunehmend gegen die Produzenten, die des Hortens und der Preistreiberei bezichtigt wurden. Die Teuerung fraß die geringen Haushaltsmittel für das tägliche Essen einfach auf. Als Ausweg wurden Massenspeisungen eingerichtet, wo Bedürftige wenigstens eine reguläre Mahlzeit erhalten konnten.
    Soziale Spannungen, die das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl immer gefährlicher untergruben, gab es bald jedoch nicht nur zwischen Stadt und Land, zwischen Produzenten und Konsumenten. Sie entstanden auch zwischen besser situierten Bürgern mit Sparkonten, die sich die notwendigen Lebensmittel zu überhöhten Preisen auf dem schwarzen Markt besorgen konnten, und «Minderbemittelten» und Schwerarbeitern, vor allem in der Rüstungsindustrie, die bei der Zuteilung von Marken, die bald für alle Lebensmittel erforderlich waren, bevorzugt wurden. Das Bemühen der Behörden, immer auf der Seite der Mehrheit zu stehen und auf diese Weise die wachsenden Proteste und Demonstrationen einzuhegen, war angesichts des objektiv bestehenden Lebensmitteldefizits auf lange Sicht vergeblich. Am Ende gerieten sie daher selber in die Schusslinie, mit Folgen, die im nächsten Kapitel zu schildern sein werden.
    In diesem Konflikt, der sich zunehmend auf eine Konfrontation zwischen der Monarchie und den buchstäblich verhungernden Massen zuspitzte, spielten die Frauen eine wichtige Rolle. Sie hatten schon im Herbst 1914 gegen das Kuchenessen und die schlechte Versorgung mit Brot und Kartoffeln protestiert. Bald schon machte die Inflation es ihnen noch schwerer, das in den Läden Angebotene zu bezahlen. In der Lohnfrage gingen schließlich die Arbeiterinnen zusammen mit ihren männlichenKollegen auf die Straße. Allerdings hatte sich die Regierung im Gegensatz zu England erst 1916/17 entschlossen, Frauen für die Rüstungsindustrie zu rekrutieren. Doch seit dem berüchtigten «Steckrübenwinter», als der Hunger sich immer weiter ausbreitete, schlossen sich auch die Arbeiterinnen den Demonstrationen an. Im Dezember 1917 schrieb eine in Leipzig lebende Australierin: «Wir haben eine seltsame Woche durchgestanden – die schlimmste Woche, die das deutsche Volk bis jetzt erleben musste. Keine Kohle, das elektrische Licht abgestellt, Gas heruntergedreht.… und praktisch nichts zu essen. Es scheint keine Kartoffeln mehr zu geben. Jeder hat ein halbes Pfund so genannte Kartoffelflocken bekommen.… Sie scheinen mir getrocknete Kartoffelschalen zu sein.… Es übersteigt mein Fassungsvermögen, wie die Armen hier zurechtkommen. Jedes Volk dieser Erde würde sich gegen eine Regierung erheben, die es in solches Elend geführt hat, aber diese Leute haben keinen Funken Unternehmungsgeist mehr.» In diesem letzten Punkte irrte sie sich. Der Widerstandswille wurde größer. Unvermeidlich wandelten sich angesichts der allgemeinen Not auch die Forderungen der Frauen und Männer. Bestand man zuerst auf besserer Versorgung, so kam bald der Ruf nach einem Ende des Krieges und nach einer grundsätzlichen Reform des politischen Systems hinzu.
    Betrachtet man die Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung weiter östlich, war die Lage in Österreich-Ungarn der deutschen sehr ähnlich. In Wien und anderen Großstädten kam es schon im Oktober 1914 zu Engpässen in der Versorgung. Die Getreideproduktion sank zwischen 1914 und 1917 um 88,2 %. Wie in Deutschland begannen die Bäcker unter Verwendung von Kartoffelmehl Mischbrot zu backen. Im Mai 1915 kam eine Verordnung heraus, die zwei fleischfreie Tage dekretierte. Auch die Bierproduktion wurde zurückgeschraubt, um Getreide zu sparen. Der Verbrauch der Armee war groß, während wichtige Regionen landwirtschaftlicher Produktion vor allem in Galizien wegen der dortigen Kampfhandlungen ausfielen. Im Jahre 1916 war dann die Kartoffelernte sehr schlecht. In Wien wurde über 10.000 Menschen in Kriegsküchen wenigstens eine sättigendeMahlzeit pro Tag verabreicht. Frauen gingen in die Fabriken, um das schmale Familienbudget aufzubessern.
    Inzwischen versuchten die Behörden, der endlosen Krise durch Rationierungen und Preisfestsetzungen Herr zu werden. Die steigende Unzufriedenheit konnten sie mit ihren Maßnahmen freilich nicht eindämmen. Den Protesten vor den Läden und Rathäusern folgten die Demonstrationen von Arbeitern, Arbeiterinnen und

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