Der Esper und die Stadt
Azteken-Kommune. Er nahm an, ich wolle ihm einen Tip geben, wie er den Azteken Schwierigkeiten machen könnte. Er hat nur das bekommen, was er verdient.“
Ich lächelte. „Na ja, spaßig mag es ja gewesen sein – aber wem sollte es nützen, oder was sollte es für die Geschichte bewirken?“
Der Junge rollte sich im Gras auf den Rücken und schaute in den Himmel. „Gorilla, der Zustand der Welt ist Langeweile. Leute, die ein friedliches Leben leben, langweilen sich unbeschreiblich. Alles, was sie an Aufregung kriegen, resultiert daraus, daß sie ihre Jobs hassen und daß die Langeweile ihnen Schmerzen bereitet. Sie betreiben ihre Hobbys nicht, weil sie Spaß daran haben, sondern weil sie glauben, das würde sie vor der Langeweile bewahren. Sie halten Langeweile für einen Bestandteil der Zivilisation und glauben, es gibt keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Sie nehmen Beruhigungsmittel. Sie machen absichtlich gefährliche Fehler. Sie werden krank, gehen ins Hospital und lassen sich ihre Organe ersetzen. All das ist Langeweile. Sie hoffen darauf, daß mal ein Erdbeben ausbricht, und stürzen sich wie Insekten in ein Großfeuer oder werfen sich wie Lemminge in die Fluten. Sie bewegen sich in ihren Gleisen wie ein Zug, der auf Schienen fährt und feststellt, daß die vor ihm liegende Brücke eingestürzt ist. Ich biete ihnen nur die Möglichkeit, zwischen Überschwemmungen, Bränden, unterhaltsamen Toden und Katastrophen auszuwählen. Der Ausbruch ist leicht – wenn man ausbrechen will.“ Er setzte sich hin und löste den Deckel einer Dose, die ein heißes Fertigfrühstück enthielt.
„Die Leute löschen sich selbst aus?“ fragte ich. So was hatte ich ja noch nie gehört!
„Nimm die Leute in den beiden Untersee-Kuppeln. Man hielt es für eine tolle Sache, unter Wasser zu leben, aber niemand hat da unten rumgetaucht. Die Leute lebten bloß dort, wie in einer ganz normalen Wohnung. Leute, die sich in einem Ballon unter dem Meer zusammenrotten, warten auf ein Erdbeben. Sie wollen geradezu ertrinken.“ Er blies auf die heiße Suppe, damit sie sich abkühlte.
„Das kannst du nicht beweisen, Larry.“
„Vielleicht kann ich es wirklich nicht, Gorilla, aber es ist doch logisch. Die Statistiken, in denen die Leute erfaßt werden, die bei großen Katastrophen, kleinen Unfällen und psychosomatischen Erkrankungen umkommen, weisen das gleiche Muster auf wie die von Selbstmördern.“
„Du meinst, daß Leute, die bei Unfällen sterben, sterben wollten?“
„Die einzigen, die die schlimmsten Katastrophen überleben, sind gesellige, aktive Leute, die man überall und nirgends antreffen kann, die Freunde haben und Pläne schmieden.“ Er rutschte ein Stück zur Seite, um dem Schein der heißen Sonne zu entgehen.
„Die Leute langweilen sich nicht“, warf ich ein und bewegte mich unbehaglich. „Sie planen ihre Zukunft. Was versuchst du mir zu sagen, Larry? Daß alle Tode Selbstmorde sind?“
„So was Ähnliches.“
„Wenn ich mir nun eine Kanone schnappen und dich erschießen würde, wäre es dann Selbstmord, wenn du nicht …“ Mir fehlten die Worte. Ich stellte die leere Kaffeetasse vor mir ins Gras.
„Soweit würde ich dich schon nicht treiben, Großer Meister“, sagte Larry erheitert. „Ich bin heute nicht in Selbstmordstimmung.“
Ein Eichelhäher flog über die Wiese, landete auf einem niedrigen Ast und krähte. Er war von einem so hellen Blau wie der Himmel.
Vielleicht war Larry doch verrückt. Kracken, der alte Wirtschaftler, war bestimmt verrückt gewesen, auch wenn er das genaue Gegenteil von Larry war. Aber wenn Kracken einen Sprung in der Schüssel hatte, bewies das noch nicht, daß Larry gesund war.
Ich streckte meine Fühler aus.
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