Der Esper und die Stadt
hinter sich haben und aus der Tretmühle raus müssen, um ihn auszukurieren. Und niemand hatte etwas dagegen, wenn man seinen Kopf hineinsteckte und nach Aufmerksamkeit verlangte, wenn man niemanden durch Klopfen oder Klingeln zum Aufstehen bewegen konnte. Ich drückte die Klinke, um reinzugehen. Aber sie war fest. Abgeschlossen.
Ich kam mir vor wie jemand, den man nicht im Hause haben will. Da kommt dieser Riesentrottel wieder … George, der nur Muskeln im Schädel hat … schließ bloß die Tür ab. Es war wirklich ein mieser Tag, aber was sollte ich nun machen? Ich konnte nirgendwo anders hingehen.
Ich stand zitternd da und bewegte die Klinke wie ein Irrer. Aber die Tür ging nicht auf. Statt dessen erzeugte die Klinke ein rasselndes Geräusch, wie das von einer Kette oder einem Wecker im Krankenhaus. Der Klang ging mir durch und durch und ließ beinahe meine Hand einfrieren. Ich stellte mir vor, daß hinter der Tür irgendwas war, das gleich die Tür öffnen würde: ein Ungeheuer mit einem Totenschädel, das auf mich wartete.
Ich wandte der Tür den Rücken zu und ging vorsichtig und leise die beiden Stufen zum Bürgersteig hinunter. Ich war so in Gedanken versunken, daß ich mir einbildete, die Tür ginge hinter mir auf und quietschte. Ich dachte sogar, da sei ein kalter Wind, der von hinten kam und nach mir griff.
Ich schaute nicht zurück, sondern machte mich davon und ging in die gleiche Richtung, aus der ich gekommen war. Dabei sagte ich mir, daß ich die Tür gar nicht hatte berühren wollen.
Ahmed trottete neben mir her, sah mich von der Seite an und war plötzlich vor mir, wie ein riesengroßer Krebs.
„Was ist denn los? Was ist denn?“
„Sie ist nicht … Niemand war …“ Es war eine Lüge. Jemand oder etwas war in dem Haus. Vergiß es, leg noch einen Schritt zu.
„Wohin gehen wir jetzt?“ fragte Ahmed.
„Direkt in den Fluß hinein“, sagte ich und lachte. Es hörte sich komisch an und tat mir in der Brust weh, wie ein Husten. „Das Wasser ist eine Fata Morgana in der Wüste, und du gehst auf trockenem Sand und suchst nach Wasser, in dem du dich ersäufen kannst. Der Sand ist mit all dem verlorenen, getrockneten Zeug bedeckt, das du nicht sehen kannst. Du stirbst auf dem trockenen Sand, kriechst auf allen vieren und suchst nach Wasser. Niemand sieht dich. Über dir segeln die Leute dahin und sehen in den falschen Wellen die Reflektionen des Himmels. Taucher kommen und finden deine getrocknete Mumie auf dem Boden. Und sie machen sich Notizen, denn sie wundern sich, weil sie glauben, es sei Wasser in dem Fluß. Aber es ist alles trocken.“
Ich hielt an. Vor uns waren die großen Docks und zwischen ihnen die uralten Landungsbrücken. Es hatte keinen Zweck, in diese oder eine andere Richtung zu gehen. Die Welt war verschrumpelt und alt, und der Staub von Jahrtausenden hatte sich auf ihre Mumienhülle gelegt. Wie ich so dastand, wurde die Welt noch kleiner und schloß sich um mich wie eine Schachtel. Ich war tot, lag auf der Nase und stand doch aufrecht auf dem Bürgersteig. Ich konnte mich nicht bewegen.
„Ahmed“, sagte ich und hörte meine Stimme, als käme sie aus weiter Ferne, „hol' mich hier raus. Wozu hat man schließlich Freunde?“
Er schwebte an mir vorbei wie ein böser Kobold. „Warum kannst du dir nicht selbst helfen?“
„Ich kann mich nicht bewegen“, antwortete ich und kam mir dabei bemerkenswert vernünftig vor.
Er umkreiste mich, sah sich mein Gesicht an und die Art, in der ich dastand. Er bewegte sich abrupt, wie eine Stechmücke, die die richtige Stelle für eine Attacke sucht. Ich sah mich, wie ich mit Insektenspray nach ihm schoß.
Plötzlich setzte er wieder die Stimme ein, diese klare, tiefe, hypnotische Stimme, die auch die dunkle, private Welt durchdringt, in der ich schlafe und träume.
„Warum kannst du dich nicht
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