Der Esper und die Stadt
bewegen?“
Unter meinen Füßen öffnete sich der Abgrund. „Weil ich dann fallen würde“, erwiderte ich.
Wieder benutzte er die Stimme, und sie drang durch bis in die Innenwelt, in der die Träume lebten und immer wahr gewesen sind. Ich war verwelkt und schwach und lag auf Staub und Fetzen alter Kleider. Ich hatte einen fauligen und staubigen Geruch in der Nase und sah nach unten, über den Rand, aus dem die Luft nach oben stieg. Die Luft von unten schmeckte besser. Ich war schon ziemlich lange da. Ahmeds Stimme erreichte mich und fragte: „Wie tief könntest du fallen?“
Ich versuchte es mit Augenmaß. Ich war müde, und das Nachdenken strengte mich sehr an. Drei bis vier Meter zu diesem Absatz, dann mit dem Fuß auf die Leiter, die dort liegt und damit dann auf die nächste Treppenflucht zu … Am Boden wartete der Tod.
„Ein langer Weg“, erwiderte ich. „Ich bin zu schwer. Die Stufen sind zu steil.“
„Dein Mund ist trocken“, sagte er.
Ich spürte, wie der Durst mich beinahe verbrannte. Er dörrte meine Kehle aus und machte aus meiner Zunge ein unförmiges Ding, als er mir die Hauptfrage stellte.
„Sag mir, wie du heißt.“
Ich versuchte meinen richtigen Namen zu nennen – George Sanford. Aber eine andere Stimme krächzte: „Jean Dalais.“
„Wo wohnst du?“ fragte er mit dieser durchdringenden Stimme, die im Inneren meines Kopfes Echos erzeugte und in der bösen Welt widerhallte, in der ich oder ein anderer auf dem Boden lag und den Staub ewigen Verfalls einatmete.
„Die Treppe runter“, hörte ich mich sagen.
„Und wo bist du jetzt?“ fragte die gleiche durchdringende Stimme.
„In der Hölle“, antwortete die Stimme aus meinem Kopf.
Ich holte aus, um ihn mit einem einzigen Schlag niederzustrecken. Er war gefährlich. Ich mußte ihn stoppen, damit er aufhörte. Voller Haß und mit großer Sorgfalt schlug ich zu. Er kippte nach hinten, und ich machte, daß ich wegkam. Ich rannte ohne Pause, ein, zwei Blocks weit. Meine Beine gehörten mir, mein Körper gehörte mir. Ich war George Sanford und konnte mich bewegen, ohne Angst vor dem Fallen zu haben. Niemand war hinter mir. Niemand war vor mir. Die Sonne schien durch die Wolken, ein frischer Wind blies über die leeren Bürgersteige. Ich war allein. Ich hatte die Kapselwelt des Todesgrauens wie eine verwaiste Telefonzelle hinter mir zurückgelassen.
Jetzt wußte ich, was ich tun mußte, um aus der Sache rauszukommen. Nicht daran zurückdenken. Einfach vergessen, was Ahmed zu tun versuchte. Scheiß drauf, was gehen dich andere Leute an. Mach einfach einen Spaziergang an der Pier entlang, und laß die neblige Sonne auf dich scheinen. Denk an was Nettes oder auch an gar nichts.
Ich schaute zurück. Weit hinter mir saß Ahmed auf dem Randstein. Mir fiel ein, daß ich ziemlich stark war und der Sportlehrer gesagt hatte, ich solle mich zurückhalten, wenn ich zuschlug. Auch bei Ahmed? Er hatte nachgedacht und war nicht darauf vorbereitet gewesen.
Was hatte ich gesagt? Jean Dalais. Jean Fitzpatrick hatte mir ein paar von ihren Gedichten gezeigt. Sie hatte sie mit diesem Namen unterzeichnet. War Jean Dalais in Wirklichkeit Jean Fitzpatrick? Vielleicht hatte sie diesen Namen gehabt, bevor Mort Fitzpatrick ihr Mann geworden war.
Inzwischen war ich an dem weißen Haus mit den roten Fensterläden vorbeigelaufen. Ich sah mich um – es lag nur einen halben Block hinter mir. Ich lief zurück, mit langen Schritten, und bevor die Angst mich wieder zu packen bekam, rüttelte ich an der Klinke, zerrte an der roten Tür und sah mir das Schloß an.
Ahmed holte mich wieder ein. „Weißt du, wie man Schlösser knackt?“ fragte ich ihn.
„Dauert zu lange“, erwiderte er leise. „Laß es uns bei den Fenstern versuchen.“
Er hatte recht. Das erste Fenster, an dem wir
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