Der Esper und die Stadt
es versuchten, war nur vom New Yorker Ruß verschlossen. Rußverschmiert und mit schwarzen Händen kletterten wir in die Küche. Abgesehen von einem vertrockneten Salat, der in einer Schüssel lag, war sie sauber aufgeräumt. Das Spülbecken war trocken, die Luft roch abgestanden.
Ich glaube, es gehört zum guten Benehmen, wenn man sein Eindringen irgendwie bekanntmacht.
„Jean!“ rief ich. Zurück kamen ein paar Echos und Stille, und dann fiel oben etwas aus einem Regal. Wieder erhoben sich in meinem Kopf die Geister und stellten sich mit ausgestreckten Krallen hinter mir auf. Ich lugte über meine Schulter und sah nur die leere Küche. Meine Haut prickelte. Ich hatte Angst davor, Lärm zu machen. Ich hatte Angst, der Tod würde mich hören. Ich mußte rufen und hatte Angst davor. Ich mußte mich bewegen – und auch davor hatte ich Angst. Ich starb vor Feigheit. Es waren die Gedanken eines anderen; sie hatten den Geruch von Krankheit, das Brennen von Durst, die Energie der Wut. Innerlich schrumpelte ich zusammen.
Ich legte eine Hand auf den Küchentisch. „Oben, auf dem Dachboden“, sagte ich. Ich wußte jetzt, was nicht mit mir stimmte. Jean Dalais war ein Archetyp. Sie lag im Delirium und träumte, daß sie ich sei. Oder ich war wirklich Jean Dalais und litt unter einem anderen Traum, und mir träumte, daß da seltsame Leute in meiner Küche standen und nach mir suchten. Ich, Jean, haßte diese Halluzinationen. Ich drosch auf die Traumbilder der Männer ein, die ein Gefühl von Schwäche und Unwohlsein verspürten, und wußte, wieviel Zeit vergangen war, ohne daß mir jemand geholfen hatte. Ich haßte die ganze Welt, die mich eingesperrt und aus jeder Hoffnung eine Lüge gemacht hatte, und ich versuchte die Lügen ins Nichts zu blasen.
Die George-Sanford-Halluzination glitt auf dem Küchenboden in eine sitzende Position. Die Papiertüte mit der Bockbierflasche knallte mit einem lauten Geräusch auf den Boden. Sie hörte sich beinahe real an. „Schau du nach, Ahmed“, sagte der George-Sanford-Mund.
Die andere Gestalt in diesem Traum beugte sich vor und stellte ein Telefon auf den Fußboden. Es prallte mit einem anderen Laut auf das Linoleum und erzeugte ein helles Klingeln, das man fast auch oben noch hören konnte. „Die Halluzinationen werden immer echter. Jetzt kann ich sie schon hören“, murmelte der Phantasie-Sanford vor sich hin. Oder war es Jean Dalais, die nachdachte?
„Wenn ich rufe, wählst du die Null und sagst, daß die Rettungsbrigade rüberkommen soll.“ Ahmed hob die Papiertüte mit der Bockbierflasche auf. „Alles klar, George?“ Er fing an, die Küchenschubladen zu durchsuchen. „Na großartig, Bier! Es gibt nichts Besseres gegen extreme Dehydration. Ist Salz drin. Hält das System vom Flüssigkeitsschock fern.“
Er fand einen Bieröffner und steckte ihn in die Hüfttasche. „Flüssigkeitsschock kommt von plötzlichen Veränderungen im Wasser-Salz-Haushalt“, fügte er hinzu und stieg leise, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Er verschwand aus meinem Gesichtskreis, aber ich hörte seine Schritte. Sie waren leise und forschend. Selbst Ahmed hatte Angst davor, Geister aufzuwecken.
Was hatte Bessie über das Opfer gesagt? „Hoffnung schmerzt.“ Sie hatte versucht, dem Opfer Hoffnung zu machen, aber das Opfer hatte ihr mit einem Dolch aus Wut und Verzweiflung ins Herz gestochen.
Deswegen saß ich auf dem Boden!
Gefahr, George, nicht nachdenken! Ich schloß die Augen und leerte meinen Kopf.
Der Traum von der Rettung und die Abbilder der Männer waren verschwunden. Ich war Jean Dalais und sank ins Dunkel zurück, in eine warme, umfassende Dunkelheit, in der sich nichts rührte und niemand dachte. Da gab es nur – in
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