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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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Ratschlä­ge für die Zu­kunft ge­ben, egal, wo er auch ge­ra­de war. „Fra­ge ihn.“
    Ich ging zu ihm hin, nahm Platz und war­te­te dar­auf, daß er mich an­sah und ich mei­ne Fra­gen stel­len konn­te. Er saß mit ge­schlos­se­nen Au­gen da und war sehr alt, ma­ger, wür­de­voll und nett.
    Oh­ne die Au­gen auf­zu­ma­chen, sag­te er: „Ich bin glück­lich, daß du dei­nem Le­ben ein Ziel ge­ge­ben hast. Ich ha­be nie­mals ver­sucht, an­de­re See­len zu lo­ka­li­sie­ren. Ich ha­be nur ver­sucht, mit ih­nen eins zu wer­den und al­les mit ih­nen zu tei­len. Ich glau­be, dei­ne See­le ist in Ge­fahr, weil du dich nicht ver­schlie­ßen kannst und für das Bö­se in den an­de­ren stets er­reich­bar bist. Du darfst dem Bö­sen in den an­de­ren kei­nen Wi­der­stand leis­ten. Du mußt ihm mit Sym­pa­thie be­geg­nen, es ver­ste­hen und lie­ben. Sonst kannst du nichts tun. Es gibt kei­ne Si­cher­heit, denn in dir sind kei­ne Mau­ern.“ Sei­ne Stim­me war alt und zitt­rig.
    Er rutsch­te un­be­hag­lich hin und her und strich über sei­nen Bart. „Aber jetzt se­he ich, daß du un­ge­dul­dig und oh­ne Furcht bist und nur Wor­te über dei­ne Ga­be des Leu­te­fin­dens hö­ren möch­test. Ich kann dir nur fol­gen­des sa­gen: Der bes­te Weg, die Zu­kunft zu se­hen, sind die Träu­me. Ich glau­be, du soll­test ei­ne klei­ne Ta­schen­lam­pe und ein No­tiz­buch ne­ben dei­nen Schlaf­sack le­gen. Ich will dir ger­ne mein Licht und mei­ne Ta­fel lei­hen.“
    Ich woll­te zwar gar nichts über die Zu­kunft er­fah­ren, aber ich dank­te ihm und nahm sein Licht und sei­ne Ta­fel. Als ich ein­sch­lief, hör­te ich die lei­se Mu­sik aus den Ohr­laut­spre­chern der an­de­ren, die eben­falls in ih­ren Schlaf­sä­cken la­gen. Der al­te Mann sprach ein Ge­bet. „Er mö­ge auf­wärts trei­ben mit den Ge­zei­ten des Lichts, nicht ab­wärts mit de­nen der Dun­kel­heit. Mö­ge er nur See­len ret­ten, die auch ge­ret­tet wer­den wol­len. Wen im­mer er auch be­wahrt, laß ihn wis­sen im Traum­land; laß sie Freun­de wer­den und sich dar­auf vor­be­rei­ten, die Ober­welt zu se­hen.“ War das Ge­bet für ihn oder für mich?
    Im­mer wenn ich träu­me, wer­de ich ein an­de­rer. Oft träu­me ich, daß ich Big­gy bin, der frü­her in un­se­rer Stra­ßen­ban­de war, jetzt er­wach­sen ist, Zie­gen­her­den hü­tet und von der Exil-Pen­si­on lebt.
    Aber als ich dies­mal zu träu­men an­fing, war ich je­mand in New York.

 
2
     
    Die ro­te Ne­on­schrift am Him­mel blink­te:
     
    DU BIST NICHT AL­LEIN!
    Ver­wirk­li­che dich,
    ge­he dei­nen In­ter­es­sen nach,
    su­che einen Part­ner,
    fin­de zu dir selbst,
    mit „Har­mo­nie“-Per­sön­lich­keits­dia­gno­se
    und Part­ner­schafts­dienst.
     
    Carl Hod­ges war al­lein. Er stand in ei­nem ver­wais­ten, rui­nier­ten Teil der Stadt und sah das ro­te Leuch­ten der Wer­bung, die sich vom ne­be­li­gen Nacht­him­mel New Yorks ab­hob und wie ei­ne fla­ckern­de, ro­te Flam­me blink­te. Er wuß­te, was das Leuch­ten sag­te. Du bist nicht al­lein.
    Er schloß die Au­gen. Trä­nen quol­len un­ter sei­nen ge­schlos­se­nen Li­dern her­vor. Er ver­damm­te den Tag, an dem er ge­lernt hat­te, mit Zeit­spu­ren um­zu­ge­hen. Es war leicht, sich zu er­in­nern und zu Su­san­ne zu­rück­zu­keh­ren; er konn­te so­gar den Au­gen­blick se­hen, in dem sein Mäd­chen auf dem Surf­brett vor dem Ab­hang ei­ner stei­len Wel­len­front her­ge­jagt war. Er sah so­gar den Bug des Bret­tes auf dem sich kräu­seln­den Was­ser und die Wel­le, die es an­hob, im­mer hö­her wer­den, bis sie um­kipp­te und wie ein Axt­blatt nie­der­schlug.
    Denk an et­was an­de­res!
    „Wie­der am Heu­len, Paps?“ sag­te ei­ne jun­ge, fre­che Stim­me. Ei­ne Hand preß­te zwei Ta­blet­ten vor sei­nen Mund. „Hier, Glückspil­len. Kein Grund zum Heu­len, ’s ist ’ne gu­te Welt.“
    Ge­hor­sam nahm Carl Hod­ges die Pil­len in den Mund und schluck­te. Die Er­in­ne­run­gen und der Kum­mer wür­den bald auf­hö­ren, ihn zu schmer­zen. Sie wür­den ver­ge­hen. Denk an was an­de­res. Ans Ar­bei­ten? Ja, er soll­te wirk­lich ar­bei­ten ge­hen und einen Job aus­fül­len, statt nichts zu tun und bei weg­ge­lau­fe­nen

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