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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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blu­ti­gen Axt auf ei­nem al­ten Zie­gel­ge­bäu­de. Das Haus sah ur­alt aus. Sein stau­bi­ges Aus­se­hen und das Bild der blu­ti­gen Axt auf der Wand er­zeug­ten in mir das Ge­fühl, je­mand zu sein, der blu­ti­ge Äx­te lieb­te und ganz in der Nä­he wohn­te.
    „Ich bin nicht be­schäf­tigt. Nun sei­en Sie nicht ein­ge­schnappt“, sag­te das Te­le­fon. „Was soll ich Ih­nen vor­le­sen?“
    „Le­sen Sie die Lis­te der An­schlä­ge vor, mit al­len Ein­zel­hei­ten, aber lang­sam; dann fra­gen Sie mich laut nach mei­nem Na­men und mei­ner Adres­se. Stel­len Sie kla­re Fra­gen und schrei­ben Sie auf, was ich ant­wor­te.“
    „Wie soll ich fra­gen?“
    „Ein­fach so: Wie hei­ßen Sie? Wo woh­nen Sie?“ er­wi­der­te ich. Jetzt ka­men mehr Leu­te vor­bei. Ein jun­ger Bur­sche eil­te vor­über, knöpf­te sich die Ja­cke zu und ging ei­lig zur Ar­beit. Zwei Mäd­chen schlen­der­ten her­an; sie hat­ten Ba­de­klei­dung an und Hand­tü­cher bei sich.
    „Sind Sie der Neue, den wir ein­ge­stellt ha­ben?“ frag­te der Ex­pe­dient über das Te­le­fon. „Der mit der Wün­schel­ru­te?“
    „Nein. Ich er­klä­re es Ih­nen ein an­der­mal. Le­sen Sie jetzt nur die Lis­te vor.“ Ich hat­te das Ge­fühl, daß der Kerl, der was Ge­walt­tä­ti­ges vor­hat­te, jetzt auf­ge­wacht war und sich an­zog. Viel­leicht woll­te er das Haus ver­las­sen. Ich mus­ter­te einen un­ter­setz­ten Ar­bei­ter mit sand­far­be­nem Haar, der vor­bei­ging. Der Bur­sche, den ich such­te, muß­te so ähn­lich aus­se­hen. Aber hat­te ich den Nerv, je­man­den an­zu­hal­ten, nur weil er schlech­te Vi­bra­tio­nen aus­strahl­te?
    Nein.
    Der Ex­pe­dient ver­fiel wie­der in sei­ne mo­no­to­ne Sprech­wei­se.
    „Zwölf Fäl­le, in de­nen Schü­ler vier Kunst­leh­rer mit Tin­te oder Far­be be­spritz­ten. Zer­ris­se­ne Klei­der in drei Fäl­len. Ei­ne Spa­zier­gän­ge­rin aus Jer­sey Ci­ty wur­de ge­fes­selt, be­droht und kahl­ge­scho­ren von ei­nem un­i­den­ti­fi­zier­ten männ­li­chen At­ten­tä­ter, mög­li­ches Al­ter zwei­und­zwan­zig, brü­nett. Sie wur­de ge­bun­den, aber un­ver­letzt in ei­nem Müll­ton­nen-La­ger­raum im zwei­ten Block Wil­mont Street ge­fun­den.“ Wäh­rend die mo­no­to­ne Stim­me lang­sam die Ein­zel­hei­ten vor­las, stell­te ich mir vor, die von ihr be­schrie­be­nen Din­ge ge­tan zu ha­ben. Als ich dem Mäd­chen den Kopf schor, ver­spür­te ich ei­ne selt­sa­me, star­ke Er­re­gung und das Ver­lan­gen, einen Kopf an den Haa­ren mit mir her­um­zu­schlep­pen.
    „Wie hei­ßen Sie?“ frag­te die Te­le­fon­stim­me plötz­lich deut­lich und be­stim­mend.
    „Charles Shi­ras.“
    „Wo woh­nen Sie?“
    „Wil­mont Street Num­mer zwei­und­zwan­zig“, er­wi­der­te ich spon­tan und fand dann zu mir selbst zu­rück. Ich hat­te ei­ne Gän­se­haut und trenn­te je­man­dem in Ge­dan­ken mit ei­nem za­cki­gen al­ten Schnitz­mes­ser den Kopf ab. Mei­ne Hand spür­te die Vi­bra­tio­nen, die das Mes­ser er­zeug­te.
    „Ich ha­be den Na­men“, sag­te der Po­li­zei-Ex­pe­dient am an­de­ren En­de. Sei­ne Stim­me klang zwar im­mer noch mo­no­ton, zeig­te jetzt aber ei­ne Spur von In­ter­es­se. „Und was fan­ge ich jetzt da­mit an?“
    „Ge­ben Sie der Ret­tungs­bri­ga­de Be­scheid. Sie soll Charles Shi­ras fest­neh­men und ihn dann zu ei­ner me­di­zi­ni­schen Über­prü­fung brin­gen“, sag­te ich.
    „Sie sind nicht Charles Shi­ras?“
    „Nein, ich bin Ge­or­ge San­ford.“ End­lich ka­pier­te er.
    Die Rou­ti­ne des In-Ge­wahr­samneh­men kann­te ich aus der Zeit, in der ich auf Ah­med war­tend im Haupt­quar­tier her­um­ge­han­gen hat­te. „Sie sol­len ihn fest­neh­men und auf Psy­cho­sen un­ter­su­chen las­sen. Die Ärz­te kann er nicht be­schum­meln. Und wenn er einen An­walt ruft … falls sie ihn nicht in ei­ne Zwangs­ja­cke ste­cken … dann gibt es ga­ran­tiert Stunk.“ Ich hoff­te, daß er an den Ärz­ten nicht vor­bei­kam. Aber wie konn­te ich ihn krie­gen? Was hat­te ich ge­gen ihn in der Hand? Daß er ein Bur­sche war, der mir Kopf­schmer­zen be­rei­te­te? Wie­viel wür­de die nor­ma­le Po­li­zei der Ret­tungs­bri­ga­de durch­ge­hen las­sen?

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