Der Esper und die Stadt
blutigen Axt auf einem alten Ziegelgebäude. Das Haus sah uralt aus. Sein staubiges Aussehen und das Bild der blutigen Axt auf der Wand erzeugten in mir das Gefühl, jemand zu sein, der blutige Äxte liebte und ganz in der Nähe wohnte.
„Ich bin nicht beschäftigt. Nun seien Sie nicht eingeschnappt“, sagte das Telefon. „Was soll ich Ihnen vorlesen?“
„Lesen Sie die Liste der Anschläge vor, mit allen Einzelheiten, aber langsam; dann fragen Sie mich laut nach meinem Namen und meiner Adresse. Stellen Sie klare Fragen und schreiben Sie auf, was ich antworte.“
„Wie soll ich fragen?“
„Einfach so: Wie heißen Sie? Wo wohnen Sie?“ erwiderte ich. Jetzt kamen mehr Leute vorbei. Ein junger Bursche eilte vorüber, knöpfte sich die Jacke zu und ging eilig zur Arbeit. Zwei Mädchen schlenderten heran; sie hatten Badekleidung an und Handtücher bei sich.
„Sind Sie der Neue, den wir eingestellt haben?“ fragte der Expedient über das Telefon. „Der mit der Wünschelrute?“
„Nein. Ich erkläre es Ihnen ein andermal. Lesen Sie jetzt nur die Liste vor.“ Ich hatte das Gefühl, daß der Kerl, der was Gewalttätiges vorhatte, jetzt aufgewacht war und sich anzog. Vielleicht wollte er das Haus verlassen. Ich musterte einen untersetzten Arbeiter mit sandfarbenem Haar, der vorbeiging. Der Bursche, den ich suchte, mußte so ähnlich aussehen. Aber hatte ich den Nerv, jemanden anzuhalten, nur weil er schlechte Vibrationen ausstrahlte?
Nein.
Der Expedient verfiel wieder in seine monotone Sprechweise.
„Zwölf Fälle, in denen Schüler vier Kunstlehrer mit Tinte oder Farbe bespritzten. Zerrissene Kleider in drei Fällen. Eine Spaziergängerin aus Jersey City wurde gefesselt, bedroht und kahlgeschoren von einem unidentifizierten männlichen Attentäter, mögliches Alter zweiundzwanzig, brünett. Sie wurde gebunden, aber unverletzt in einem Mülltonnen-Lagerraum im zweiten Block Wilmont Street gefunden.“ Während die monotone Stimme langsam die Einzelheiten vorlas, stellte ich mir vor, die von ihr beschriebenen Dinge getan zu haben. Als ich dem Mädchen den Kopf schor, verspürte ich eine seltsame, starke Erregung und das Verlangen, einen Kopf an den Haaren mit mir herumzuschleppen.
„Wie heißen Sie?“ fragte die Telefonstimme plötzlich deutlich und bestimmend.
„Charles Shiras.“
„Wo wohnen Sie?“
„Wilmont Street Nummer zweiundzwanzig“, erwiderte ich spontan und fand dann zu mir selbst zurück. Ich hatte eine Gänsehaut und trennte jemandem in Gedanken mit einem zackigen alten Schnitzmesser den Kopf ab. Meine Hand spürte die Vibrationen, die das Messer erzeugte.
„Ich habe den Namen“, sagte der Polizei-Expedient am anderen Ende. Seine Stimme klang zwar immer noch monoton, zeigte jetzt aber eine Spur von Interesse. „Und was fange ich jetzt damit an?“
„Geben Sie der Rettungsbrigade Bescheid. Sie soll Charles Shiras festnehmen und ihn dann zu einer medizinischen Überprüfung bringen“, sagte ich.
„Sie sind nicht Charles Shiras?“
„Nein, ich bin George Sanford.“ Endlich kapierte er.
Die Routine des In-Gewahrsamnehmen kannte ich aus der Zeit, in der ich auf Ahmed wartend im Hauptquartier herumgehangen hatte. „Sie sollen ihn festnehmen und auf Psychosen untersuchen lassen. Die Ärzte kann er nicht beschummeln. Und wenn er einen Anwalt ruft … falls sie ihn nicht in eine Zwangsjacke stecken … dann gibt es garantiert Stunk.“ Ich hoffte, daß er an den Ärzten nicht vorbeikam. Aber wie konnte ich ihn kriegen? Was hatte ich gegen ihn in der Hand? Daß er ein Bursche war, der mir Kopfschmerzen bereitete? Wieviel würde die normale Polizei der Rettungsbrigade durchgehen lassen?
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