Der Esper und die Stadt
den Bäumen des Grüngürtels zwitscherten immer noch, man möge aufstehen. Das Sonnenlicht war hell und rosa auf den Hausdächern. Kühle Schatten und etwas Nebel hingen immer noch in den talähnlichen Straßen der New Yorker West Side. Ich verließ die Telefonzelle und ging über die Straße›um mich ins Gras neben der Straße zu setzen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen einen Baum und sah auf. Autos fuhren hier keine. Seit fünfzehn Jahren fuhren keine Autos mehr in der Stadt. Ich gab mich ganz dem Frieden hin.
Das Telefon klingelte. Ich ging wieder über die Straße und kehrte in die Zelle zurück. „Hier ist George Sanford.“ Die Telefonzelle war zu klein. Ich öffnete die Tür und lauschte dem Gesang der Vögel.
„Ihr statistischer Bericht ist gerade rübergekommen“, sagte die Stimme des Expedienten. „Computer-Ausdruck, abweichendes Verhalten von der Norm im letzten Jahr, Daten bezüglich grundloser Gewalt in kleinen und größeren Fällen betreffend die Blocks zwischen der 23. und 21. Straße sowie die beiden Blocks an der Wilmont Street. In Ordnung?“
„Richtig.“ Ich hatte in einer Woche gelernt, wie ein Polizist vorzugehen. „Irgendwas in der Art jedenfalls. Ich will etwas wissen über so was Ähnliches wie eine Zunahme halbherzig durchgeführter Delikte. Etwa, wenn jemand an Mord denkt, ihn dann aber nicht ausführt.“
„Hm, hm, da haben wir ein paar Fälle; hauptsächlich Gewaltandrohung und Angriffe, bei denen niemand verletzt wurde. Schüler, die ihre Lehrer mit Farbbeuteln bewarfen oder ihnen in der High School die Kleider zerrissen. Und einen Haufen Erwachsenen-Vandalismus.“
„Welche Art Vandalismus? Geben Sie mir Einzelheiten.“
Mit monotoner Stimme las er vor: „Grundlose Gewaltakte, Typ zwo: Vorhänge und Bilder abreißen oder mit Messern aufschlitzen. Typ drei: Abbildungen von Persönlichkeiten mit Sprühdosen oder Filzstiften beschmieren – entweder durchstreichen oder übermalen. Typ vier: Zeichnungen von blutigen Schwertern, Messern, Äxten.“ Die monotone Stimme hielt inne und fragte in normalem Tonfall: „Brauchen Sie mehr?“
„Das reicht mir“, sagte ich. „Ich krieg den Standpunkt schon hin. Lesen Sie mir die Einzelheiten der Angriffe vor. Aber langsam.“ Ich fühlte mich jetzt schon gewalttätig.
„Wofür? Was haben Sie vor?“
„Ich versuche, mich auf einen Verdächtigen einzustimmen. Zu denken wie er“, sagte ich in das Telefon. „Ich bin in der Gegend. Auf der einen Seite liegen die Kunst- und Handwerks-Kommunen, auf der anderen wohnen die alten Italiener. Ruhige Leute, die keinen Grund haben, sich wütend zu fühlen oder an Blut zu denken, aber wenn ich da vorbeigehe, um einen Teller Spaghetti zu essen, kann ich es fühlen. Jemand in diesem Block hat an Gewalt gedacht und sendet seit Jahren schlechte Vibrationen aus. Die Kinder gehen hier auf dem Weg zur Schule vorbei. Ich wollte sehen, ob die Vibrationen sie erreichen. Und das tun sie. Und zwar saftig. Ich versuche, mich auf die Vibrationen einzustimmen, um zu sehen, ob ich in den Kopf des Burschen reinkomme.“
„Alles in Ordnung mit Ihnen da draußen?“ fragte die Telefonstimme mißtrauisch. „Sind Sie ausgeflippt oder was?“
Bisher hatte ich immer mit Ahmed zusammengearbeitet, und er hatte die Telefoniererei erledigt. Vielleicht machte ich irgendwas falsch. „Schauen Sie, wenn Sie zu beschäftigt sind, um die Bulletins der Rettungsbrigade zu lesen, können Sie auch nichts über mich wissen. Sie geben mir besser jemanden, der nicht so beschäftigt ist, in Ordnung?“
Ich warf einen Blick nach draußen und hörte die Geräusche der aufwachenden Nachbarschaft, roch den Duft von gebratenem Speck und sah die Zeichnung einer
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