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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Schicksal hätte sich erfüllt. - Eine andere Möglichkeit bestand ebenfalls. Der Nachfolger des Propheten konnte gerade durch den scheinbaren Wahnsinn seines sonst so gelassenen Kislars aus den eigenen, gefährlichen Wunschträumen geschreckt werden und die Wirklichkeit mit ihren Notwendigkeiten erkennen. Noch war es nicht zu spät.
    Alles, was hier gesprochen wurde, war für Beschir das große Spiel um den Staat, dem er diente.
    Wenn also keine von den beiden Möglichkeiten eintreffen sollte, blieb als dritte noch die ... daß nicht nur Beschir sein Leben verlieren konnte.

2
    „Mein Padischah“, begann Beschir von neuem, und es schwang durch seine Worte eine Bewegung, wie Ahmed sie nie zuvor an seinem Kislar bemerkt hatte, „gestatten Euer Majestät mir die flehentliche Bitte, die persische Angelegenheit und überhaupt jede Angelegenheit, die das Reich berührt, niemals nur von der Hohen Pforte Euer Majestät aus betrachten zu wollen, sondern sich stets erst über den Zwang zu unterrichten, dem die Gegenseite unterliegt. Was aber muß Tahmasipschah vor allem wollen? Den Eindruck der Stärke muß er erwecken wollen, zuerst bei seinen turkmanischen und indischen Bundes-
    genossen, die ihn auf seinen Thron zurückführten, und nicht weniger bei seinen Untertanen. Billige Eroberungen, wie wir sie ihm überließen, täuschen in einer Weise diese Stärke vor, daß es vielleicht später für uns schwer sein wird, das uns Entrissene zurückzugewinnen.“
    „Ich schließe lieber Frieden mit Tahmasipschah, dem echten Schah und Erben des väterlichen Thrones, als mit einem afghanischen Thronräuber wie Eschref, den Allah verdamme“, sagte der Sultan. „Mit Bewunderung neige ich mich vor der Weisheit unseres kaiserlichen Herrn. Für den Frieden ist die Herausgabe einiger erst kürzlich eroberter Städte . ..“
    Nicht einmal die Schicklichkeit, das Ende des Satzes abzuwarten, besaß Abdullah der Mufti.
    „Es ziemt sich nicht“, rief er, „auch nur einen Fußbreit Landes, das einmal den Rechtgläubigen gehörte, an Ungläubige abzutreten. Lies den Koran, Exzellenz.“
    „Ich las ihn. Aber die Perser sind Moslemin wie wir selbst, Heiligkeit.“
    „Ketzer sind sie, schiitische Ketzer! Sie glauben an Ali, aber nicht an die Rechtmäßigkeit der drei ersten Kalifen und damit nicht an das Kalifat unseres erhabenen Padischahs.“
    „Mögen sie also nicht Irrende, sondern, wie Euer Heiligkeit es sagen, Ungläubige und Verlorene sein“, kam Beschir seinem Gegner entgegen. „Aber ich vernahm auch, daß es dem Padischah nach dem Fetwa unserer berühmtesten Gesetzeskundigen erlaubt sei, nicht aus Zwang, doch aus seinem eigenen, freien Willen im Namen des Allerbarmers Ungläubigen Landschaften oder Städte zu schenken, um den also mit Gnade Überhäuften die Güte Allahs erkennen zu lassen.“ Ibrahim konnte nicht umhin, die Eleganz zu bewundern, mit der Beschir den Einspruch des Mufti abtat. Wie es sich ein Mann Allahs wohl denke, fragte sich der Staatsmann, mit Persien allerhöchstem Befehl gemäß zum Frieden zu gelangen - ohne Rückgabe wenigstens eines Teils des Raubes? Aber das sei eben das Schwierige mit diesen Leuten. Stets seien sie bereit, religiöse Thesen von sich zu geben, doch das Rezept, diese Thesen zu verwirklichen, liefere keiner von ihnen mit. Im übrigen war er mit der Entwickelung dieser Beratung im engsten Kreis nicht unzufrieden.
    Zu Ende des letzten Großkriegs mit dem Reich hatte der Pascha den Sturz zweier seiner Vorgänger, Großwesire wie er selbst, mit großer Anteilnahme verfolgt, um dann, selbst in das Amt eingesetzt, genau dasselbe zu tun, was die beiden andern hätten tun müssen. Wäre er voreiliger gewesen, hätte er den Krieg verloren, wäre er gezwungen gewesen, den Frieden von Passarowitz zu schließen. Aber durch Abwartenkönnen war es ihm gelungen, nicht nur die Mißerfolge den Namen der beiden Vorgänger anzuhängen, sondern außerdem noch die Verantwortung für alle unvolkstümlichen Maßnahmen, die er bei Antritt seiner Regierung nicht hatte vermeiden können.
    In einer ähnlichen Lage war er jetzt. Ihm konnte Beschirs Tollkühnheit nur lieb sein. Mochten alle Probleme aufgerollt und schonungslos beleuchtet werden — das würde den Sultan wohl abhalten, seinen Großwesir sobald wieder durch Unvernunft zu belästigen. Ibrahim kannte seinen kaiserlichen Freund genug, um zu wissen, daß dessen haremsselige Zufriedenheit auf lange, vielleicht auf immer, einer quälenden Unsicherheit

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