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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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römischen. Solche Leute wie Rakoczy ändern sich nicht.“
    „Bonneval auch nicht“, meinte Julienne.
    „Bonneval ist ein Mann wie Rakoczy“, gab Beschir ihr recht. „Beide leben sie noch in der Zeit der Kreuzzüge, die ohnehin nicht glücklich für ihresgleichen verliefen, in einer Welt leben sie. die nie die unsere sein kann. Für unsere Welt hegen diese Leute nur Geringschätzung. Sehen Sie, Julienne: Auch Osman der Dynastiegründer, Mehmet der Eroberer, Sulejman der Gesetzgeber - alle hatten sie geborene Christen um sich, die nicht nur hohe Posten erlangten, sondern wirklich führende Männer des Reiches und des Islams waren. Unsere Welt hatte sie dem Abendland völlig abtrünnig gemacht, im Islam und im Osmanischen Reich gingen sie auf. Halten Sie dagegen Bonneval — oder vielmehr Ahmed Aga - für einen überzeugten Moslim?“
    „Aber Beschir“, rief Julienne, „wie kommen Sie auf diesen seltsamen Gedanken! Bonneval könnte wohl Bischof oder Kardinal und, wenn es sich so machte, auch Mufti oder Papst sein — nur eins wird er niemals haben: eine religiöse Überzeugung. Ahmed Pascha ist Graf Bonneval aus dem Limousin - nichts sonst.“
    „Sie sagen es selbst. Das also ist Bonneval; und Sie, Julienne, haben sich überhaupt nicht entschließen können, eine Moslim zu werden. An einen Übertritt Rakoczys aber auch nur zu denken, wäre barer Unsinn, ganz abgesehen davon, daß er nur als Christ und Fürst von Siebenbürgen etwas nützen kann. Bonneval ist uns schon heute unentbehrlich, und Rakoczys werde ich mich unbedenklich bedienen, wenn die Gelegenheit da ist. Das entspricht alter, guter Tradition der osmanischen Politik. Der Unterschied zwischen den Zeiten der Eroberungen und der Gegenwart ist dennoch groß. Damals griff unsere Welt das Abendland an. Sie war nicht nur in ihrer Toleranz, in ihren menschenfreundlicheren Gesetzen, in der Achtung vor den Frauen der Untertanen, sondern auch im Aufbau ihres Heerwesens, in Verwaltung und Technik die Überlegene. Inzwischen ist unser Heerwesen veraltet, unsere Pioniere sind nicht mehr die besten der Welt, und unsere Wissenschaft ist stehengeblieben. Heute brauche ich Abendländer, die Abendländer geblieben sind, um mich des Abendlandes zu erwehren. Das ist nicht sehr erhebend, Julienne.“
    „Vielleicht nicht erhebend, aber gescheit“, erklärte sie ungerührt. „In jedem Fall ist es kein Grund, auf Ihr Ziel zu verzichten.“
    Fast böse sagte sie es. Sie wollte sich nicht in seine Schwermut hineinziehen lassen. Offenbar war das aber gerade der richtige Ton; denn sofort wurde er lebhaft.
    „Verzichten? Ich?“ grollte er. „Wenn Sie allerdings an Eroberungen denken - darauf verzichte ich. Wir haben schon genug Christen im Osmanischen Reich. Aber eine feste Grenze will ich, die wir verteidigen können.“ Er unterbrach sich und sah sie erstaunt an. „Ich dachte, wir seien einig, Julienne? Oder haben Sie nie an die Balkanvölker gedacht? Sie wissen doch, was Leibeigenschaft bedeutet? Es ist gewiß auch in diesem großen Reich nicht alles eitel Gerechtigkeit und Menschenliebe. Aber die Bedrücker sind, wo es sie gibt, kaiserliche Beamte und haben nicht auf den Schutz der Regierung zu rechnen. Im Gegenteil! Und die Bedrückten sind im allerschlimmsten Fall frei und können sich dem Druck entziehen. Es ist nicht geraten, es so weit kommen zu lassen, daß sie es tun. Die Furcht vor einer Klage hält Ungerechtigkeit und Mißbrauch der Gesetze in Grenzen. Was haben dagegen die Österreicher in dem Teil Serbiens gemacht, den sie seit dem letzten Friedensschluß besitzen? Das Land gehört jetzt statt dem Sultan, also dem Staat, großen Herren in Wien, von denen die meisten ihren Besitz niemals sahen, nicht das Land, nicht die Menschen, die auf diesem Lande leben und ihnen auch gehören. Die sind nicht frei und können sich nicht dem Druck entziehen, denen hilft keine Klage. Die herrschaftlichen Verwalter sind unangreifbar, und das um so mehr, je größer ihre Erpressungen sind. Was die neuen Grundherren mit ihrem Privateigentum, mit ihrem Land und den dazugehörigen Leuten machen, ist deren Privatangelegenheit, um die sich kein Kaiser kümmert. Wollen Sie den ganzen Balkan dieser schrecklichen Leibeigenschaft ausliefern, der tiefsten Erniedrigung und vollständigsten Ausbeutung, zu der Menschen jemals gezwungen wurden oder sich hergaben?“
    Über der Leidenschaft, mit der er sich zu seiner Politik bekannte, hatte er zwar etwas von seiner gewöhnlichen, kalten

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