Der Eunuch
meinte Sulali.
„Zu unserem Glück seid ihr es nie“, lächelte Beschir.
„Immerhin geruhen Exzellenz, mich in dem Eindruck zu bestärken, daß ich auf dem richtigen Wege sei.“
„Der Weg ist richtig, das Ziel - wenigstens Ihr Ziel, Efendi - wird von uns beiden bejaht; aber noch ist der Weg nicht zu Ende gegangen.“ „Und am Ende wartet der Tod“, sagte Sulali. „Wir wissen nur nicht, auf wen.“
„Nicht auf Ahmed!“ rief Beschir und erhob sich mit überraschender Hast. „Nicht auf den Padischah. Absetzung - ja. Aber nicht Tod. Sein und seiner Familie Leben darf nicht angetastet werden!“
.Keine Theologie!“ sagte mir der alte Herr, dachte Sulali. Und ich müßte ihm jetzt sagen: .Keine Sentimentalität, Exzellenz!“ Das dachte Sulali. aber er behielt es für sich, obwohl er die Schwierigkeit von Beschirs Forderung kannte. Außerdem war er auch mehr auf Wahrung des eigenen Lebens bedacht.
„Die Janitscharen sind unberechenbar“, meinte er bedenklich, „und wenn es die Janitscharen nicht sind, dann sind es die Debedschi oder die Sipahi ...“
„.. . und wir haben in jedem Fall Sulali, dessen Einfluß bei den Truppen“, sagte Beschir so, daß es zu einer Bedingung wurde, „und außerdem den seines Freundes Ispirisade Efendi.“
Ispirisade war der Scheich Imam der Aja Sophia, einst Prunkkathedrale Kaiser Justinians, jetzt trotz aller Neubauten Stambuls vornehmste Moschee. An sie und ihren Ersten Imam hatten sich die Janitscharen mit ihren Beschwerden gewandt. Sulali und Ispirisade waren auch tatsächlich befreundet; aber die beiden Herren hatten sich verabredet, ihr Bündnis zu verbergen, um notfalls die Fetwa zweier geistlicher Instanzen in die Waagschale legen zu können. Sulali war denn auch nicht wenig beunruhigt.
„Woher wissen Exzellenz ...?“
„Haben Sie gedacht, Sie seien mein einziger Gewährsmann?“ Ursprünglich hatte Sulali das wirklich gedacht; aber alle Anstalten, bis er hierher gekommen war, hatten ihn gelehrt, daß es ein Erfolg sei, wenn er sich diesem alten Herrn gegenüber behaupten könne. An ein Verhandeln von Macht zu Macht dachte er längst nicht mehr.
Sein Irrtum, den er gehegt hatte, war durchaus verzeihlich. Die Herren des Harems traten selten an die Öffentlichkeit und der Kislar Aga nur einmal im Jahr zur Feier der Geburt des Propheten. Das war sein Tag. Dann gab er dem Padischah und den Herren des Diwans ein Fest. Sonst wahrten die schwarzen, in Wirklichkeit meist bronzefarbenen Eunuchen auch in ihren eigenen Personen das Geheimnis des Harems, und besonders Beschir war unnahbar. Außer seine eigenen Jahresfeste hatte er in den zwölf Jahren seines Kislaramtes nur ganz wenig andere Gastereien mit seiner Gegenwart beehrt. Was hätte Sulali von ihm wissen können? Er sah ihn zum erstenmal, und Beschir fand, daß sich der Richter in Anbetracht dieses Tatbestandes ganz wacker verhalte.
„Ich weiß noch einiges andere“, fuhr Beschir fort. „Erstes Zeichen der Unzufriedenheit unserer Janitscharenfreunde ist es immer, daß sie sich wirklich vorhandener Übelstände annehmen. Dieses Mal sind es die Malikiane, die lebenslänglichen Pachten, die das Brot verteuern. Die Machenschaften, die den Holzpreis in die Höhe treiben sollten, führten nur dazu, daß unsere christlichen Rajahs überhaupt kein Holz mehr schlagen. - Wer kann sie zwingen? - Kaum haben noch die Bäckereien Brennholz, was die Handwerker nicht mehr von sich sagen können. Ibrahim Pascha hat seine großen Verdienste um Bauten, um Kunst, und es ist überhaupt jammerschade um den Mann, aber daß die Leute auch gut durchgebackenes Brot haben wollen -daran zu denken, ist er zu fein. Iich weiß wirklich, so alt ich sein mag, ein wenig von den Ursachen der Unzufriedenheit, und die Hauptsache ist wohl, daß die Offiziere der Widerspenstigkeit ihrer Leute durch grausame Anwendung der Disziplin Herr zu werden versuchten. Sie kennen den jüngsten Fall. Efendi, da ein Janitschar unter dem Stock sein Leben ließ? Nun. unsere Leute sind nicht wie die Soldaten des Abendlandes, besonders die Deutschen. Denen können ihre Offiziere alles zumuten. Dagegen würde es mich sehr wundern, wenn das Leben dieses einen Janitscharen nicht zuletzt mit den Köpfen einer ganzen Reihe von hochgestellten Persönlichkeiten bezahlt werden müßte. Sie, Efendi, sind ein Mann Gottes, Ihnen liegen solche Gedanken vielleicht ferner - ich jedoch war unter anderem auch Kriegsmann, und ich sage
Ihnen: wie Kletten hängt das zusammen.
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