Der Eunuch
stockte.
„Und Sie“, ergänzte Beschir, „könnten es vorteilhaft finden, eine gleiche Untersuchung in bezug auf mich anzustellen.“ Sulali wagte ein leichtes Lachen. „Lassen Sie solche Erwägung, Efendi“, fuhr der Kislar fort, „Ihre Anmerkung ist vielleicht ganz schlau, doch schlau genügt nicht. Um dies handelt es sich: Sie, Hochwürden, sind überzeugt, Ihr Amt als Erster Richter von Konstantinopel großartig, ja unübertrefflich verwaltet zu haben, und tatsächlich haben Sie sich auch nichts zuschulden kommen lassen. Unter diesen Umständen hätten Sie es bereits als unbefriedigend empfunden, wenn sich nichts weiter ereignet hätte, als daß Ihr an sich doch schon sehr hohes Amt Ihnen noch für einige Jahre überlassen und Sie nicht durch die erhoffte Beförderung aus einer hohen in die höchste Stellung berufen worden wären. Nun trat das ein, was Sie und viele Leute mit Ihnen nicht für möglich gehalten hätten. Sie wurden nicht nur nicht befördert, sondern Ihnen wurde auch noch die Stelle genommen, die Sie hatten. Und da Sie kein Mann sind, der so etwas untätig hinnimmt, und wissen ... Was wissen Sie, Efendi?“
„Solange Ibrahim Pascha regiert, habe ich keine Aussichten.“
„Und weiter?“
„Solange Sultan Ahmed Padischah ist, wird Ibrahim Pascha regieren.“ „Vortrefflich. Und darum?“
„Muß einer von beiden weg - am besten aber beide.“
„Ein Padischah - ein Großwesir . .. Hochwürden lassen sich Ihre Beförderung etwas kosten.“
„Exzellenz kennen meine Gründe. Die Euer Exzellenz gehen mich nichts an.“
„Das ist eine Bescheidenheit, die ich lobe.“
Sulali verneigte sich dankend.
„Immerhin möchte ich mich nicht unterschätzen“, fuhr er fort, „idi bin zwar kein Feldherr, kein Turm in Euer Exzellenz Schach; aber ein Springer - das bin ich und kann, wenn sich die Lage so fügt, vielleicht die Schlacht entscheiden.“
„Zugegeben. Und dieser Springer glaubt Anspruch auf die Stellung eines Oberstlandrichters zu haben?“
„Halten Exzellenz das für anmaßend?“
„Durchaus nicht. Ich bin froh, daß Sie nicht Mufti werden wollen.“ „Es wäre noch nicht an der Zeit.“
„Ich sagte schon, daß Sie Verstand haben. Vom Padischah haben Sie auch wirklich nichts zu erwarten. Warum es so ist? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Eine der üblichen Verleumdungen vermutlich, von der ein Verleumdeter nie etwas erfährt, eine ungnädige Laune, die beibehalten werden muß. Nichts ist grausamer als das schlechte Gewissen. Kein Unrecht verzeiht der Mensch so schwer wie das, was er einem andern angetan hat. In der Folge muß der Geschädigte der Rachloseste der Ruchlosen sein, weil der Angreifer auf diese Weise zu einem edlen und heiligen Instrument der göttlichen Gerechtigkeit wird.“ „Vom Padischah habe ich nichts zu erwarten“, wiederholte Sulali mit einem Anflug von Resignation. „Und dann wundert man sich noch, Exzellenz, wenn ich . . .“
„Wer wundert sich denn? Ich doch nicht. Iich kann Sie nur brauchen, wenn die unumschränkte Macht sich vor Ihnen vernebelt. - Aber vielleicht versuchen Sie es noch einmal, sich ihr zu nähern?“ belauerte Beschir den Efendi. „Sie wollen nicht?“
„Nein. Und Exzellenz wissen auch, daß ich es nicht mehr kann.“ „Dann müssen Sie stark bleiben, Hemmungen sind nicht am Platz. Geht es nicht mit der Spitze, dann vertraut man sich, um von ihr hochgetragen zu werden, der Quelle der Macht an. In unruhigen Zeiten geht das. Sehen Sie die Dinge nüchtern und ohne Theologie. Die Spitze der Machtpyramide ist nur ein gedachter Punkt. Ohne die Pyramide ist der Punkt nicht da. Und die Pyramide existiert nicht ohne ihre Basis.“
„Meinen Exzellenz etwa das Volk?“
„Wollen Sie es versuchen? Dann stellen Sie sich auf den Fleischmarkt und halten Sie eine Ansprache an das Volk. Sie denken natürlich nicht daran und haben recht. Selbst die Lehenstruppen, die doch Waffen hätten, sind keine Macht. Ohne die Zauberei der Einberufungsbefehle existieren sie nicht. Für sie ist eine Stambuler Truppenrevolte eine Familienstreiterei im Hause Osman. Die Quelle aller Macht sind die immer kriegsmäßig versammelten stehenden Truppen. Ich sage Ihnen das nicht, weil Sie es nicht wüßten, sondern weil ich euch verehrten Ulema beneide. Der kaiserliche Diwan braucht eure Fetwa, um zu regieren, und die kaiserlichen Truppen brauchen sie ebenfalls, um zu revoltieren. Ohne euch geht es nicht.“
„Falls die Geistlichkeit sich immer einig wäre“,
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