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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Schrei es zerrissen hatte.
    „Julienne!“ hatte die Batthany geschrien.
    „Julienne“ - war es wie erstickt aus Frau von Stuntz gekommen. Gnädigste Baronesse“, hatte Verlet gesagt.
    „Julienne!“ hatte die Gräfin wiederholt und ihr Opfer in die Arme gerissen, um sich dann dem Prinzen zuzuwenden: „Habe ich es nicht gesagt? Von unserer Julienne kann man alles erwarten.“
    Es war Julienne unmöglich gewesen, dieses kleine dürre Männchen mit dem Totengesicht, der ihr Onkel sein sollte, nicht mit dem unerschöpften Beschir zu vergleichen, als sie in einem Hofknicks von damenhafter Vollendung vor dem Greis mehr niedergeschwebt als gesunken war und ihm die Hand geküßt hatte.
    Dann war sie von Seiner Hoheit aufgehoben worden.
    „Seien Sie willkommen in Wien“, hatte er gesagt, und: „dies ist Baron Andlaw, Ihr anderer Onkel“, hinzugefügt, „der Bruder Ihres Vaters, meines Lebensretters und Freundes.“
    Die etwas umständliche Strategie des Prinzen hatte sich also bewährt. Die Frage, ob man es mit einer Hochstaplerin oder der richtigen Juliane vom Vorberg zu tun habe, war durch eine Überraschung, gewissermaßen einen Überfall, in Sekundenschnelle und auf eine Weise entschieden worden, die keinen Zweifel mehr zugelassen hatte, womit zur Erleichterung der Gräfin die Rollen der Frau von Stuntz und des Herrn Verlet ausgespielt gewesen waren. Nur sie selbst war mit den beiden Oheimen und der Nichte zurückgeblieben.
    Der natürlichen Frage nach dem Grund ihres langen Schweigens war Julienne durch die Erklärung zuvorgekommen, daß sie aus höchster Not heraus in ihrem Kloster eine Zuflucht gefunden habe und fortan dessen Regeln verpflichtet gewesen sei. Erst der Sturm im ökumenischen Patriarchat habe sie hierher geweht. Seine durchlauchtigste Hoheit sei doch unterrichtet. . .?
    Seine Hoheit war es gewesen. Nichts was sich in der Türkei an Ungewöhnlichem ereigne, sei Wien gleichgültig, hatte er gesagt, und die kirchlichen Unstimmigkeiten bei den griechischen Untertanen des Sultans schien er mit größtem Interesse verfolgt zu haben. Leider ergebe sich aus den Berichten des Internuntius nicht recht - der Herr von Talmann wisse es offenbar selbst nicht welche von den beiden Parteien, die Parteigänger des Patriarchen oder dessen Gegner, am leichtesten für Österreich zu gewinnen sei.
    Keine von beiden - hatte Julienne gedacht. Laut gesagt hatte sie jedoch, daß die Parteigänger des Patriarchen Jeremias nur wenige Nutznießer und überhaupt keine Partei seien. Ihrer aber, Juliennes, habe man sich im Verlauf der Zwistigkeiten als eines Mädchens entsonnen,. das einmal ein Schützling Seiner Hoheit gewesen sei. ,Ein Schützling' und ,gewesen sei' hatte sie gesagt und durch diese bescheidene Zurückhaltung einen Stolz bewiesen, den der Prinz seinen Schwestern gewünscht hätte. Sie sei, hatte die Nichte weiter berichtet, zur Kanonissin erhoben worden, zum höchsten Rang nach der Äbtissin, und erlaube sich nun, Seine allerdurchlauchtigste Hoheit um eine Audienz zur Überreichung ihrer Beglaubigungen zu bitten.
    Diesem Wunsch hatte nichts im Wege gestanden, weil zuverlässige Nachrichten von seiten einer geistlichen Persönlichkeit der griechischen Kirche nur hatten erwünscht sein können. Vorerst aber war ein Streit des Edelmutes zwischen dem Prinzen und dem Baron entstanden. Da die Verwandtschaft mit der Nichte anerkannt wurde, war auch der gleich nahe Grad in beiden Fällen nicht zu bestreiten gewesen. Prinz und Baron hatten sich solange beeifert, Julienne den Schutz ihrer Wohnsitze anzupreisen, bis dann, wie meist in solchen Fällen, der Schwächere gesiegt hatte. Es war ausgemacht worden, daß der Prinz wohl seine Schatulle und seine Häuser der Nichte öffnen dürfe, insbesondere seine Bibliothek in der Himmelpfortgasse - wohnen aber solle sie als Nichte des Herrn von Andlaw in dessen Wiener Stadthaus. Diese Beschlüsse hatten den Interessen aller Beteiligten entsprochen. Auch die abendländischen Nonnentrachten hatten im Verlauf des Barock mancherlei Veränderungen erfahren. An Stelle des Schleiers hatten sich riesige Flügelhauben eingeschlichen, die unter der Einwirkung von Stärkemehl phantastische Formen angenommen hatten. Andere Neuerungen waren gefolgt, während die Ostkirche bei den strengen Formen des frühen Mittelalters, vor allem aber bei der Farbe geblieben war, die das Abendland bei seinen Klostergewändern so gut wie abgeschafft hatte. Die Kutten der griechischen Kirche waren immer

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