Der Eunuch
den Vorstellungen gemäß gewesen, die über die Kleidung von Christi Zeitgenossen bestanden hatten - die Muttergottes natürlich in Blau, woran noch der blaue Mantel der Kanonissinnen des Panagienklosters in Konstantinopel erinnert hatte. Blau war die Farbe der Maria und des kaiserlichen Byzanz.
In ihrer gültigen Klostertracht wäre Julienne demnach aufgefallen, was zu vermeiden gewesen war. Die Pforte hatte nicht nur ihren ständigen Schahbender, ihren Konsul, sondern auch ein kleines Heer von Agenten in Wien. Eine griechische Nonne in der feindlichen Hauptstadt und beim Prinzen gar? Das hätte die Spürhunde zum Bellen gebracht. Angelegenheiten der griechischen Kirche waren Angelegenheiten der Pforte, und jede Dazwischenkunft eines Untertanen war Hochverrat. Von Julienne jedoch sei alles zu erwarten, war die Meinung der andern gewesen, selbst ihre Rückkehr ins Kloster am Fanar. Was sie aber auch tun möge - türkischem Argwohn dürfe sie sich nicht aussetzen. Für Julienne war dieser Glaube die Hauptsache gewesen, die Feststellung, daß für abendländisches Vorurteil etwas anderes als Türkenfeindschaft für sie gar nicht in Frage komme.
Im Kloster habe man alles vorausbedacht, hatte sie sagen können, und so habe sie einen Generaldispens, der sie von allen geistlichen Verpflichtungen befreie, soweit sie ihrer Mission hinderlich werden könnten. Und das Habit sei hinderlich.
Das war beruhigend gewesen, und Andlaw hatte darauf hingewiesen, daß es ja auch adelige Damenstifte gebe, deren Insassinnen mit ihren weltlichen Geschlechtsgenossinnen in Kleidern und Schmuck wetteiferten und höchstens einmal in ihrer Stiftskirche Klostertracht anlegten. Als dann noch Frau von Stuntz zu Juliennes Ehrendame erhoben worden war, hatte sich alles so glücklich gefügt, wie man es sich nur hatte wünschen können.
Von nun an glich Juliennes Leben nach außen in sehr vielem dem einer beliebigen jungen Dame von Stand: Besuch der Messe, Ausritte, Einkaufsfahrten durch die Stadt, eine Jagdpartie mit dem Onkel
Andlaw . . . Die stundenlangen Besuche der Bibliothek dagegen hatte wohl keine andere aufzuweisen, und nur wenige würden mit Julienne in der Zurückhaltung übereingestimmt haben, die sie dem gesellschaftlichen Leben gegenüber übte.
Zuerst war im Familienrat, wie Julienne das Gremium der beiden Onkel mit der unvermeidlichen Batthany spöttisch nannte, viel von einer Vorstellung bei Hofe geredet worden, was mit einem Schlage alles geändert hätte. Dann hatte man sich entschlossen, mit der Feierlichkeit einstweilen noch zu warten, bis es Julienne selbst danach verlangen sollte. Daran, daß dies eines Tages geschehen würde, hatte niemand gezweifelt. Man hätte glauben sollen, daß sich im bunten Wiener Gesellschaftsgetriebe eine Geheimtätigkeit leichter hätte ausdehnen und auch verbergen können. Aber am Ausdehnen hatte Julienne offenbar deswegen nichts gelegen, weil es zum Verbergen gar nichts zu geben schien. Selbst die allerschärfste Überwachung - und dafür war von der Gräfin gesorgt worden - hatte bei Juliennes Besuchen in den wenigen Familien, mit denen so etwas wie ein Verkehr aufgekommen war, oder bei Empfängen im Andlawschen Hause keinen geheimen Austausch von Papierstückchen, kein Ausbreiten von Karlen in bestimmter Reihenfolge oder sonst irgendeine verdächtige Bewegung feststellen können. Selbst die Gräfin war schließlich zur Überzeugung gekommen, daß Juliennes ganzes Geheimnis deren konfessionspolitische Mission sei: Österreich solle dafür gewonnen werden, in Konstantinopel gegen den Schützling der Pforte, den verhaßten Patriarchen Jeremias, und zugunsten von dessen abgesetzten Vorgänger zu wirken, der nach Brussa verbannt worden war, und den die Griechen wiederhaben wollten. Alle Nachrichten Juliennes gingen den Weg zum Bosporus, und alle, die sie erhielt, kamen von dort. Dennoch hinderten diese für Julienne so erfreulichen Ergebnisse sie nidit, daß sie nach dem Auftauchen des Freiherrn von Talmann in Wien einem Sandelholzkasten mit Perlmutterintarsien ein leeres Blatt Papier entnahm und mit unsichtbarer Tinte vier verschlüsselte Worte darauf schrieb: „Talmann überwachen - laufender Bericht!“
Dem Verbleib dieses Briefes hätte man umsonst nachgeforscht. Er ging nicht nach Konstantinopel.
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Es war der Vorteil eines Kislar Aga, daß sein Weg zum Ohr des Padischahs nicht durch lästige Zeremonien eingeengt wurde, und daß er zur Familie gehörte, mehr als selbst die
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