Der Eunuch
Schnelligkeit eines Blitzes überlegte Beschir - mehr noch: Beschirs Überlegungen waren schneller als der Blitz.
Diese Sekunde würde über seine Macht entscheiden. Er hat sie nicht gefährdet geglaubt, nun sehe er, daß sie es sei. Jetzt sei der Panzer des Zeremonials nicht mehr wert als ein durchlöchertes Bettuch. Jetzt gäbe es nur noch das Gefährlichste, unter Umständen aber auch das Stärkste: die Wahrheit, die nackte Wahrheit. Wenn Mahmud die hinnehmen würde, sei seine, Beschirs, Macht gerettet.
„Ich könnte sagen“, begann er, „die selbstherrliche Art, mit der Ali im letzten Kriegsrat erklärte, den persischen Krieg selbst als Serasker zu Ende führen zu wollen, vertrage sich nicht mit den Interessen des Reiches, das seinen Großwesir am Bosporus verlange.“
„Bei einem Krieg hat jeder Großwesir das Recht auf den Oberbefehl. Das ist Gesetz. Selbst ein Padischah kann es ihm nicht verweigern.“ „Er kann ihn absetzen.“
„Ist dies der wahre Grund?“ fragte Mahmud.
„Nein.“ — Fest sah ihm Beschir in die Augen.
„Nennen Sie den Grund, mein Vater.“
„Unsere Rede sei frei von allem, was die Wahrheit trüben könnte“, wiederholte Beschir des Padischahs Wort, und dessen Erwähnung sollte mahnen.
„Sie sei es“, war alles, was Mahmud erwiderte.
„Gut.“ Beschir hielt inne. „Mein Padischah“, begann er dann, „wir sind hier zu dritt, und zu dritt - keiner ist es allein - sind wir die höchste Macht im Osmanischen Reich.“ „Zugegeben“, sagte Mahmud.
„Ist nun einer von Ihnen beiden der Meinung, daß sich die Lage des Reiches seit Sultan Ahmed verschlechtert habe?“
„O nein, Beschir!“ rief die Walide. „Verbessert hat sie sich. Das wissen Sie doch selbst. Warum fragen Sie?“
„Dann wäre es doch das beste“, meinte er, „die Macht dort zu belassen, wo sie sich gegenwärtig befindet?“
„Ali wäre nie in der Lage, sie zu schmälern“, meinte Mahmud. „ Iich meine natürlich Ihre Macht, Beschir.“
„Nicht zu schmälern - vielleicht nicht; wohl aber sie zu übernehmen. Da nach dem Willen meines Padischahs und seiner erhabenen Mutter alle Verkleidungen fallen sollen, bitte ich, mir eine Frage zu erlauben, die unter andern Umständen dem Verbrechen eines Mangels an Achtung vor der Majestät nahe käme.“
„Fragen Sie, Beschir“, sagte die Walide und dachte dabei, daß auch sie noch Fragen stellen würde - aber an den Kislar. „Mein Sohn wird Ihnen nichts verhehlen. Ich verbürge mich.“
„Nun dann: Hat Ali niemals versucht, meinen Padischah gegen midi einzunehmen?“
Eine Pause kam auf, ehe sich Mahmud überwand.
„Er hat es versucht“, sagte er dann. „Aber es hat nicht den geringsten Eindruck auf mich gemacht. Glauben Sie mir das, und vergessen Sie bitte darüber nicht, daß Ali ein fähiger Großwesir ist. Sie sagten es selbst.“
„Er ist ein noch fähigerer General, und in dieser Eigenschaft hat er Anspruch auf jeden Beistand, den die Macht ihm geben kann. Das Reich braucht ihn. Aber das Reich bedarf auch der Beständigkeit einer bewährten Macht. Gerade ein fähiger Großwesir dürfte, wenn er mehr an das Reich und weniger an sich selbst dächte, sich nicht beikommen lassen, eine solche Macht zu gefährden - selbst dann nidit, wenn er selbst keinen Teil an ihr hätte. Der Mensch ändert sich täglich. Was ihn an einem Tag ruhig läßt, kann ihn an einem andern bewegen.“
Beschir hielt Mahmud nicht für wankelmütig und hatte auch keinen Grund dazu; aber daß etwas zwischen ihnen ihr Verhältnis trübe, fühlte er seit einiger Zeit. Ob es wirklich Ali sei, fragte er sich, oder ob Mahmud Ali nur vorschiebe, um den eigentlichen Grund seines Mißvergnügens nicht nennen zu müssen? Jedenfalls habe er, Beschir, gegen eine derartige Hartnäckigkeit Mahmuds seit dessen Thronbesteigung noch nicht zu kämpfen gehabt.
„Würden Sie uns mit den vielen Schwierigkeiten, die uns umgeben, allein lassen, Aga, wenn ich mich nicht entschließen könnte, dem Großwesir das Siegel zu nehmen?“ fragte Mahmud.
Das war ein Stoß in Beschirs Herz. Die Frage sei die Aufforderung, auch fernerhin sich zu mühen, dachte er, aber ohne die Macht, es mit Erfolg tun zu können, dafür mit der sichern Aussicht, alle Schmach für die Unzulänglichkeit anderer auf sich nehmen zu müssen.
„Ich kann mich nicht einer Bürde entledigen, die mein Padischah mir auferlegte“, sagte er laut. „Ich bin ein Sklave. Für dreißig Piaster hat mich der Harem gekauft. So
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