Der Eunuch
„äußerten Worte der Menschlichkeit und des Verstehens, beglückend für jeden, der sie vernahm. Möchte es mir Unwürdigen nunmehr vergönnt sein, die Voraussetzungen des Gesprächs, soweit sie mir bekannt sind, den Allerhöchsten mit der Genauigkeit zu unterbreiten, die sie verdienen.“ Indes Beschir Atem schöpfte, schwiegen Mutter und Sohn voller Erwartung. „Jene Dame, der mein Padischah Interesse entgegenzubringen geruht, ist die Tochter einer königlichen Prinzessin von Frankreich . . .“
„Sind Sie dessen sicher, Beschir?“ rief die Walide erschrocken. Obwohl der Abkunft eines Menschen in der Welt des Islams nur in wenigen Fällen Bedeutung zukam, so wußten sie doch um deren entscheidende Wirkung bei den Ungläubigen. Große Schwierigkeiten konnten sich daraus für die Würde ihres Sohnes ergeben. Die Zeiten, da türkische Padischahe ausländische Prinzessinnen - auch Christinnen - heirateten, waren seit dem Kanun des Eroberers vorüber.
Beschir war sich jedoch seiner Behauptung vollkommen sicher.
„Die Person des Vaters allerdings“, fuhr er fort, „ist mir, und ich glaube hinzufügen zu dürfen, auch der Dame selbst unbekannt.“ Mahmud schöpfte Hoffnung.
„Aber dann“, sagte er. „ Iich weiß doch, daß die Ungläubigen bei ihren Nachkommen einen übertriebenen Wert auf die regelrechte Heirat der Eltern legen. Und Sie sagten doch, Beschir, daß sie - da . .." „Julienne“, ergänzte sein Kislar. „Ihr Name ist, französisch ausgesprochen, Julienne. Juliana Promontor oder deutsch: Juliane vom Vorberg - unter diesem Namen wurde sie vom König in Wien, den die Christen Kaiser nennen, zur Baronin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erhoben.“
Was Juliennes uneheliche Geburt an Hoffnungen erweckt haben mochte, wischte die Mitteilung über ihre so bemerkenswerte Standeserhöhung wieder fort. Beschir versäumte nicht, darauf hinzuweisen. „Von den Männern, mit denen sich ihre Mutter gelegentlich zusammentat, ist, soweit sie bekannt sind, keiner als Vater zu betrachten, war keiner, der die Erhöhung der Tochter hätte bewirken können. Die Mutter selbst aber hätte schon wegen ihrer Lebensführung nicht einmal in Frankreich den allergeringsten Einfluß gehabt, geschweige denn in Wien. Die Mutter war die Mademoiselle de Soissons. Es war ihr Bruder, der die Tochter beschützte und ihr den Namen eines seiner ungarischen Güter gab, auf dem das elternlose Mädchen aufwuchs. Er war mächtig genug, das zu können. Julienne Hanum ist“, er verhielt ein wenig, ehe er schloß: „die Nichte des Prinzen Eugen.“ Der Satz war ein Schlag, der Mahmuds Hoffnung keinen Raum mehr zu lassen schien. Er tat Beschir leid - so bleich war er.
„Des Prinzen Nichte . . .", murmelte er.
„ Iich hatte die Nichte des Prinzen im Alten Serail?“ fragte, kaum weniger bestürzt, die Walide.
„Ich weiß meiner Herrin untertänigsten Dank für Dero überschwengliches Vertrauen. Jetzt aber werden die allerhöchsten Herrschaften mir vielleicht die Gefährlichkeit des Geheimnisses bestätigen. Niemals hätte ich die Dame ins Serail zu bringen gewagt, wenn der kaiserliche Harem in jenen Tagen des Aufruhrs nicht die einzige sichere Zuflucht der Hanum vor den Nachstellungen des Rebellen Mußli gewesen wäre. Es ging nicht nur um das Mädchen - es ging zugleich um das Reich. Eine Verleumdung wird um so leichter geglaubt, je bösartiger und unsinniger eine Behauptung ist. Die Allerhöchsten mögen gütigst bedenken, welch willkommener Sturm der Entrüstung das gesamte Abendland durchtobt hätte, wenn man eine Verbindung der Pforte mit dem Verschwinden der Nichte des Prinzen hätte behaupten können. Die Dame zu schützen, war das eine; aber daß es im tiefsten Geheimnis geschehe, das andere, was zu bedenken gewesen war.“
Ein Schweigen, das wie Erstarrung wirkte, breitete sich aus. Mit dem Seufzer einer tiefen Enttäuschung kam von Aigische der erste Laut. „Ihr Verhalten scheint mir tadelfrei, Exzellenz“, überwand sich dann auch Mahmud, „und ich zweifle nicht, daß die Walide, unsere Herrin, mir beipflichten wird. Immer sind Sie tadelfrei - immer — warum sind Sie immer - oh, Beschir, wie ich Sie ...!!“
„Mahmud! “ beschwor seine Mutter des Sohnesaufsteigende Bitterkeit. „Nun ja - ich wollte Exzellenz nur fragen“, lenkte der Sultan ein, „ob sich bei abebbendem Aufstand keine Gelegenheit fand, die Dame ehrenvoll in deren Heimat zu geleiten.“
Eine unerwartete Frage stand plötzlich
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