Der Eunuch
erhabenen Absichten Schwierigkeiten machen könnte. In diesem Fall dürften es der kaiserliche Harem und dessen Gesetze sein, daß eine Dame, die ihm angehört, ihn nur als Frau eines mit ihr begnadeten Würdenträgers, und eine Frau, die des Padischahs Bett geteilt, das kaiserliche Serail niemals verlassen kann. Julienne Hanum, die Allah mit allen Tugenden, ausgenommen die des Gehorsams, geschmückt hat, liebt ihre Freiheit.“
„Wer wird sie ihr nehmen wollen!“ mischte die Walide sich ein. „Mein Sohn erwähnte bereits Lady Mary Wortley Montagu. Diese englische Dame schnupperte überall herum. Ihre Neugier war unersättlich. So kam sie auch in den kaiserlichen Harem; aber nicht nur als Frau des englischen Gesandten bei einem Empfang der Walide, sondern als eine Frau, die ihn nach Ihrer strengen Meinung, Beschir, nie wieder hätte verlassen dürfen. Ich erinnere mich ihrer noch sehr genau mit ihren schwarzen Kulleraugen, mit ihrem verschwenderischen Dekollete, das allerdings nicht viel zu verraten hatte, und mit dem hermelinverbrämten Kaftan ... Doch lassen wir das. Mein Schwager Ahmed wird ihr die Kleider ohnehin nicht lange angelassen haben. Ich wollte nur sagen, daß sie dann doch den Harem wieder verließ.“
„Weil unsichtbar hinter ihr die englischen Kriegsschiffe standen“, sagte Beschir.
„Und Julienne Hanum ist die Nichte des Prinzen“, erwiderte die Walide.
„Wenn sie zurückkehrt, ist sie es nicht mehr. Auch möchte ich kaiserlicher Hoheit bemerken dürfen, daß Lady Wortley nach ihrer Rückkehr aus dem Harem mit ihrem gesetzlichen Gatten zwar in einem freundschaftlichen Verhältnis, aber doch von seinem Bett getrennt lebte.“
Die Walide fand das gar nicht so entsetzlich.
„Was will das Bett des Herrn Gesandten schon sagen? Es ist doch bekannt, daß Lady Mary ihrem eigenen Geschlecht noch mehr zugetan ist als dem andern. Mein Schwager Ahmed freilich ..."
Mahmud unterbrach die Walide, und hinter seiner Höflichkeit konnte man eine fiebrige Ungeduld spüren.
„Liebe Mutter, meine Herrin“, sagte er. „Julienne Hanum läßt sich mit keiner anderen Frau vergleichen, auch nicht mit jener Lady, jener Vielschreiberin berühmter Briefe, die dann in Abschriften reihum gingen. Ich würde froh sein, Dame Julienne nur sehen und mit ihr sprechen zu können. Vielleicht läßt sie sich von der Aufrichtigkeit und der Beständigkeit meiner Neigung überzeugen. Sie, Beschir, sind freilich längst über Leidenschaften hinaus und können mich . . .“ -Mahmud vermochte nicht gleich die taktvollen Worte zu finden. Entgegen allen Erfahrungen der Haremsdamen, bei denen über die vielseitige Brauchbarkeit der Eunuchen keine Zweifel bestanden, glaubte er immer noch ganz naiv an bequeme Übereinkünfte, die nichts als leere Vokabeln waren - „und können mich wohl nicht so ganz verstehen“, schloß er schnell. „Wollen Sie mir desungeachtet helfen“, fuhr er um so dringender fort, „der Sie stets unser Schützer und Freund waren?“
Beschir küßte die ihm dargebotene Hand des Erhabenen, aber er antwortete nichts.
„Ich danke Ihnen, Beschir“ - sagte Mahmud, womit das Gespräch eigentlich hätte zu Ende sein können. „Und dann“, fügte der Sultan aber noch hinzu, als handele es sich um eine stehengebliebene Taschenuhr und nicht um einen entscheidenden Auftrag an den Oberstschwertträger, „sagen Sie doch dem Silihdar, Beschir, er möge Ali Pascha das Siegel abfordern.“
Mit Mahmuds letzten Worten hatte der Kislar in der Großwesirsfrage gesiegt. Aber niemand weiß, wenn er einen Sieg errang, ob er nicht eine Niederlage erlitt. Beschir freute sich jedenfalls nicht. Er sollte seinen Erfolg mit Julienne bezahlen.
29
Weniger erlauchte Häuser in Wien hätten den Gast, der sich in einer Vormittagsstunde in das Palais des Prinzen durch die rechte, die Herrschaftseinfahrt begab, kaum dieser Ehre gewürdigt. Er war nicht in sechsspänniger Karosse mit betreßtem Kutscher auf dem Bock und ebensolchen Lakaien hintenauf durchs Tor gefahren - nicht einmal in vierspänniger. Das Tor war gar nicht in Frage gekommen, er bediente sich einer Kalesche, eines jener Stuhlwagen, wie sie jetzt in England aufgekommen waren. Der wertvolle Apfelschimmel in der Gabel des schwarzlackierten Einspänners und der silbergrau ge-kleidete Kutscher verbanden sich zu einer unscheinbaren Farblosigkeit, die weder durch bunte Tressen, Verschnürungen oder Troddeln gestört wurde und dennoch oder gerade deshalb den Eindruck
Weitere Kostenlose Bücher