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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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seine Überzeugung vom Ungenügen eines Eunuchen. Immer hatte er den Ausgleich in der Macht gesucht. Aber nun, da sie - in Frage gestellt oder nicht - ihm in ihrem Wert zweifelhaft zu werden begann, war nichts als das Ungenügen geblieben.
    Er hörte das öffnen einer Tür und das Klirren der Ringe eines Vorhangs. Aber er wandte sich nicht um.
    „Wer ist eingetreten?“ fragte er nur, ohne sich auch nur zu rühren. „Ich!“ vernahm er Juliennes Stimme. „Aber ich bin nur gekommen“, versicherte sie, „um Ihnen zu sagen, daß ich Sie nie wiedersehen will.“
    Er erhob sich langsam, und dann sah er sie in ihrem schwarzen Kleid mit tiefem Ausschnitt und im Reifrock. Für einen Empfang bei der Walide sei das nicht die richtige Kleidung, dachte er, wohl aber für eine Frau, die äußerste Zurückhaltung bewahren wolle. Dennoch fand er sie bemerkenswert. Es schmerzte ihn, sie so zu sehen. Ganz nahe fühlte er sich bei ihrem Anblick einem unvermeidlichen Verlust.
    „Hat Mahmud mich verbannt?“ fragte er müde. „Oder wird er mich dem Bostandschi Baschi übergeben?“
    Nicht die kleinste Schwingung seiner Stimme verriet Furcht. Er hatte keine — nicht einmal vor der seidenen Schnur.
    „Eure hohe Exzellenz belieben zu scherzen“, sagte Julienne und versuchte, durch die offizielle Anrede zwischen sich und ihn eine Distanz zu legen, die sich nicht so einfach heraufbeschwören ließ.
    „Kein Scherz“, erwiderte er. „Sie erklären mir, mich nie Wiedersehen zu wollen. Wie wäre das aber ohne meine Beseitigung zu erreichen?
    Ich bin der Kislar Aga, soviel ich weiß, und eine hohe Dame des Harems . .."
    „Also doch!“ fuhr sie ihn an. „Sie rechnen damit, daß ich in den Harem eintrete. Es war alles schon abgemacht? Und Sie haben von allem gewußt? Verschachert haben Sie mich, Kislar. Weil Sie sich einbildeten, ich gehöre Ihnen, haben Sie mich wie ein Pferd oder eins Ihrer Mädchen verschachert. Und wem haben Sie mich überlassen? Ihrem kaiserlichen Schüler, der noch verbohrter ist als Sie selbst.“ „Mein Schüler, der noch verbohrter ist als ich, ist immerhin der Kaiser, Julienne. Daß er Sie begehrte, wußte ich.“
    „Und dennoch ließen Sie mich ins Serail gehen?“
    „Wir wußten es beide, Julienne. Und Sie sind trotzdem gegangen.“ „Zur Walide bin ich gegangen, aber nicht zu deren Schwachkopf von Sohn. Wenn ich ihm begegnet bin - leugnen Sie, daß es nach Ihrem Plan geschah?“
    „Ich leugne.“
    „Und ich glaube Ihnen nicht. Am liebsten möchten Sie mit mir als Fruchtbonbon Ihren Mahmud ins Bett bringen, damit der Säugling nicht brüllt. Sie sind ein Kislar, Beschir. Sie sind ein Sklave, und nur sklavisch können Sie denken und handeln.“
    Sie wollte beleidigen, aber mit ihrer Ablehnung Mahmuds richtete sie Beschir wieder auf. Dabei war er sich der ihm drohenden Gefahr bewußt, und er fragte sich, ob es schon soweit gekommen sei, daß ihm diese Frau mehr gelte als das Reich.
    „Ich bin ein Sklave“, sagte er.
    „,Ich bin ein Sklave'“, höhnte sie. „Mit dieser elenden Zweideutigkeit dünken Sie sich wohl recht erhaben? Sie wissen ganz genau, daß es nur ein Wort ist, hinter dem sich Außerordentliches verbergen kann. Bei Ihnen zum Beispiel. Und Sie wissen auch, daß ich vor einem Wort keine Angst habe.“
    „Deswegen gebrauchten Sie es?“
    „Ach was! Ich sagte Ihnen schon oft, daß Sie ein Pedant seien, und so bin ich für Sie das böse Mädchen, das sich wieder einmal schlecht benimmt.“ „Als Kislar Aga kann ich Ihr Verhalten gegenüber der Majestät allerdings nicht billigen.“
    „Und was hätte ich nach der Meinung Eurer hohen Exzellenz tun sollen?“
    „Sie wollen bitte verzeihen, wenn ich es aufgeben muß, mich Ihnen verständlich zu machen. Aber für einen Rechtgläubigen ist es unausdenkbar, daß sich eine Frau den Wünschen des Padischah und Kalifen entzieht.“
    „Unausdenkbar?“ während sie sich setzte, warf sie ihren Schal auf den Diwan. Einen schönen, starken Zorn hatte sie, aber sie wußte jetzt auch, daß sie mit Beleidigungen ihm nichts anhaben könne. „Das war der Kislar Aga“, sagte sie also wesentlich ruhiger, „und der geht mich nichts an. Iich möchte von Beschir eine Frage beantwortet haben: Kann der Sultan eine — sagen wir einmal — Gefährtin zur Sultana mit dem Rang einer Königin machen, ohne daß er von ihr einen Sohn hat?“
    „Das kann er nicht“, erklärte Beschir sofort. „Gesetz und Tradition verbieten es. Bedenken Sie: allein die

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