Der Eunuch
Ulema ..."
„Es handelt sich um sein Gesetz, um seine Tradition“, verbesserte ihn Julienne, „und rechtgläubig bin ich auch nicht. Übrigens sagte mir Mahmud dasselbe wie Sie. Ich aber bin eine Freiin des Römischen Reiches. Welchen Grund hätte ich, eine Unfreie des großherrlichen Harems zu werden, wenn nicht einmal der königliche Rang dabei herausschaut?“
„Ich vermute, daß Sie vom Harem aus das Osmanische Reich beherrschen könnten.“
„Vielleicht. Doch auch ich vermute etwas, nämlich daß Ihr Schüler Mahmud nie einen Sohn haben wird - auch nicht von mir.“
„Das weiß nur Allah.“
„Ich will es Ihnen glauben. Aber einstweilen hat sich Allah noch nicht geäußert. So müßte ich also warten, bis Zeichen und Wunder geschehen, und so was kann dauern.“
„Julienne!“ rief Beschir, und jetzt war er es, der seine Ruhe verlor, „jetzt ist keine Zeit zu scherzen. Für Sie ist Mahmud ein jüngerer Mann, der Ihnen mißfällt. Aber er ist der Kaiser. Ob er zu herrschen vermag, bedeutet nichts gegenüber der Tatsache, daß er die Wurzel jeder gesetzlichen Macht ist. Er kann eine Gefahr sein ..."
Julienne lachte schallend.
„Wenn Sie wüßten“, rief sie, „wie leicht ich diese Gefahr um den Finger wickele! Ihr Mahmud ist gar nicht so schlimm.“
„Er ist gewiß kein schlechter Mensch, und als Untertan würde er ein guter, als Ihr Untertan ein sehr guter sein. Aber gerade kaiserliches Unvermögen, Zusammenhänge und besonders deren Folgen in jedem Augenblick zu überschauen, können einen Selbstherrscher gefährlich machen. Das ist wie in einem Märchen, in dem einem Menschen jeder Wunsch erfüllt wird. Die Reue über die falschen Wünsche hinkt nach.“
„Was wollen Sie damit sagen, Beschir?“
„Daß Mahmud genug Arme finden würde, falls er in seiner Verzweiflung an einen Gewaltakt denken sollte. Vertrauen Sie - ich beschwöre Sie! - nicht zu sehr dem österreichischen Schutz. Wien wird ihn nicht verweigern, gewiß nicht; aber es könnten Ereignisse eintreten, daß selbst die österreichische Residenzschaft für Sie vorübergehend nicht sicher wäre. Sie müssen fort. Wenigstens für die nächsten Tage. Allah sei Dank! Noch habe ich die Mittel, einen Menschen verschwinden und jenseits einer Grenze wieder auftauchen zu lassen. Was dann kommen mag, werde ich erwarten.“
„Und warum machen Sie von Ihren Mitteln nicht für sich selbst Gebrauch?“
„Ich bin der Kislar Aga. Außerdem habe ich Mahmud gern. Er ist das Opfer seiner unglücklichen Jugend, die ihm die Ausgeglichenheit nahm ..." Doch weiter kam er nicht.
Es war Julienne nicht entgangen, daß Beschir sie von Mahmud trennen wolle, und dieser Beweis seiner Eifersucht befriedigte sie. Jetzt werde sie ihn ihre Rache fühlen lassen, dachte sie, weil er sie so einfach habe gehen lassen wollen.
„Mahmud?“ fragte sie mit einem treuherzigen Augenaufschlag. „Warum sollte er gerade mir etwas antun wollen?“
„Weil Sie ihn abgewiesen haben! Und weil er für Sie das empfindet, was die Leute im allgemeinen Liebe nennen ..."
„Ich? Ihn abgewiesen? Aber meine liebe Exzellenz, ich habe ihn ja gar nicht abgewiesen? Da Sie meinen Aufenthalt verraten hatten oder nicht hatten verheimlichen können, wäre das etwas schwierig gewesen. Abgelehnt habe ich es nur, in seinen Harem zu kommen. Ich glaube nämlich, daß man sich mit dem, was die Leute, wie Sie sagten, Liebe nennen, auch andernorts beschäftigen kann. Etwa in einem netten Palais bei Beschiktasch . .."
Wenn Julienne sich nicht, statt Beschir anzublicken, mit niedergeschlagenen Augen um ein vorteilhaftes Aussehen bemüht hätte, wäre ihr Zorn geringer und ihr Mitleid mit ihm größer gewesen.
Warum Julienne sich wohl anders verhalten solle, war allerdings Beschirs erster Gedanke gewesen; aber die Unbefangenheit, mit der sie Mahmud als Liebhaber anzunehmen schien, kränkte ihn tief.
„Verzeihen Sie bitte das Mißverständnis“, versuchte er jetzt eine Gelassenheit vorzutäuschen, die er nicht hatte. „Das ändert natürlich die ganze Lage. Und das Palais bei Beschiktasch? Machte Mahmud Ihnen bereits Vorschläge?“
„Ich habe alle abgelehnt. Jenseits der Grenze hätte ich den Prinzen. Dort ist mir, wenn ich wollte, die Herrschaft Promontor sicher, und Geld liegt auch für mich auf der Bank in Antwerpen. Wie die Dinge geworden sind, werde ich weder die Herrschaft übernehmen noch das Geld.“
Bei Erwähnung des Prinzen nahm Beschir sofort eine Abwehrhaltung an.
„Es
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