Der Eunuch
sie in Wien zum erstenmal gesehen habe. „Das Fräulein muß sich irren“, erklärte er.
„Dann erinnern Sie sich doch wohl der letzten Janitscharenrevolte und der Absetzung Sultan Ahmeds?“
Diese Frage Juliennes konnte der Herr Hofkriegsrat nur als Verspottung empfinden, so daß sie lächelnd fortfahren durfte:
„Es war am 29. September 1730, als Sie midi sahen - zwar nicht aus der Nähe, dafür aber durch ein Teleskop, das die Entfernung vollkommen ausglich.“
Bei diesen genauen Angaben begann Talmanns im Anfang so große Sicherheit weiter zu schmelzen. Er fand die Worte nicht gleich und begann zu stammeln.
„Zugegeben“, sagte er, „aber .. .“
„Nicht wahr, es stimmt?“ fragte Julienne, während die Spannung ihrer Zuhörer wuchs. „Sie befanden sich mit Ihren Dolmetschern im Tschardak der Residenzschaft hoch oben auf dem Dach“, sprach sie weiter. „Sie wissen dodi: in einem jener Ausgucke, die eigentlich verboten waren. Nichts gegen den Ort! Er war gut gewählt. Von dort aus hatten Sie einen guten Blick über das Goldene Horn und die Stadt, vor allem aber auf Galata. Sie unterhielten sich gerade mit dem Dolmetscher Niclas Theyls über eine Dame, die durch ..." „Woher wissen Sie . . .?“
.....die durch Banditen aus Ungarn in die Türkei verschleppt worden war“, stellte Julienne ohne zu antworten fest, „und die Sie hatten suchen und zurückführen sollen.“
„Allerdings - ja!“ rief Andlaw . . . doch Julienne ließ ihn nicht weiterreden.
„Ich wollte nur andeuten, daß der Herr Hofkriegsrat von Talmann sich während des Folgenden seiner unerfüllten Aufgabe bewußt war. Es folgte aber der Sturm der Aufständischen auf das Palais des Woiwoden von Galata. In ganz geringer Entfernung unterhalb der Residenzschaft liegt das Palais. Alle Einzelheiten seiner Erstürmung und Plünderung waren von der höher gelegenen Gesandtschaft genau zu sehen. Nicht nur Diener wurden ausgetrieben, nicht nur die Möbel hinausgeworfen. Mit ihnen flog auch ein weibliches Wesen - Dame oder Dienerin gleichviel - aus einem der Fenster auf die Straße und in die Arme eines Janitscharen. Im nächsten Augenblick stand das Mädchen dennoch schon oben auf den Stufen der Freitreppe. Nicht die geringsten Anstalten traf sie, ihr Gesicht zu verhüllen, was sie einem Menschen mit Phantasie als Abendländerin ausgewiesen hätte. Im Gegensatz zu dem älteren Herrn Momars, der etwas Ähnliches äußerte, kam Herr von Talmann nicht auf diesen Gedanken. Er wunderte sich nur, daß man die Frau nicht zusammenhaue. Denn sie hatte zwar keinen Schleier, dafür aber einen Säbel. In der Sekunde des Sturzes hatte sie ihn der Schwertscheide des Janitscharen entrissen. Herr von Talmann weiß eben nicht viel von den Türken. Es waren nämlich genug Janitscharen da, die ihre Säbel noch hatten. Einer von ihnen - aber nur einer! - nahm das Mädchen auch an, anfangs wie im Scherz, und wenn zwei Klingen aufeinandertreffen, mischt sich unter Türken kein dritter ein. Das geschah erst später, und nur Mußli durfte sich das erlauben. Dieser Mußli war ein riesiger Kerl und Hauptrevolutionär, der später mit Patrona Chalil umkam. Nicht wahr, Herr von Talmann, der Dolmetscher Mayer sagte Ihnen doch, daß Mußli der Goliath sei, der sich das Mädchen über die Schultern warf? Wenn Sie Herrn Mayer freie Hand gelassen hätten, wäre Ihnen vermutlich auch von ihm gesagt worden, daß Sie vor Ihrer Nase gerade die Dame fortschleppen ließen, die Sie hatten suchen sollen, nämlich das Fräulein vom Vorberg aus Ungarn.“
Bei diesen Worten gab es selbst unter den wohlerzogenen Zuhörern einiges Geräusch.
„Wie komisch! “ rief Paula.
„Vor seiner Nase“, wiederholte Julienne mit Genuß und pries innerlich die Unfehlbarkeit von Beschirs Nachrichtendienst.
Herr von Talmann aber befand sich nicht in der besten Verfassung. „Woher sollte ich .. .", stammelte er.
„Gewiß“ - unterbrach der Prinz, und daß er Talmann beisprang, besserte dessen Sache nicht, „woher hätte unser Hofkriegsrat das alles wissen sollen, ein so zuverlässiger Beamter er auch sein mag? Doch nun ist ja alles aufgeklärt. Das heißt, eins muß Herr von Talmann noch wissen, damit er uns in seinem lobenswerten Eifer nicht etwa noch einmal unnötige Mühe bereitet: Sie sehen hier die Reichsfreiin vom Vorberg, die Wiedergefundene, und Sie hören die Dame Baronesse von Andlaw nennen. Das könnte verwirren. Die Antwort ist aber einfach: Sie ist genauso des Barons Andlaw
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