Der Eunuch
nichts der Pforte mehr übrig geblieben, als den ersten Schritt zu tun. Der Chassekiaga, der Generalleutnant der Bostandschi, war mit zwanzig Mann ausgesandt worden, um den Aufständischen die Versicherung zu überbringen, daß der
Sultan jedes billige Begehren zu erfüllen bereit sei, wogegen die Truppen sich zerstreuen möchten. — Die Antwort war ebenso klar wie grausam gewesen: Mit dem Padischah sei man zufrieden; aber innerhalb von zwei Stunden seien vier Verräter lebendig auszuliefern, und zwar der Großwesir, dessen Kiaja, der Kapudanpascha und der Mufti. Jedermann hatte gewußt, was die Auslieferung für die Lebenden zu bedeuten gehabt hätte. Byzanz, zu dessen Zeiten das Volk seinen vornehmen Opfern nicht selten im Zirkus ein Ende mit abscheulichen Martern bereitet hatte, war noch immer nicht tot, und ohne den Widerstand der Regierenden hätte Konstantinopel nicht viel vor dem Abendland vorausgehabt.
Eine derartige Erwägung stellte man freilich im Tschardak der Wiener Gesandtschaft nicht an. Nur der Sprachknabe Mayer grinste, als er von türkischer Grausamkeit reden hörte, weil er an die Vierteilung des Dragonerhauptmanns Lehmann denken mußte, der den Fürsten Rakoszy aus dessen Gefängnis in Wiener Neustadt hatte entfliehen lassen. Und das geschehe auf Grund gleichmütig geübter Gerichtspraktiken jederzeit in der teuren Heimat und nicht als Exzeß einer ungezügelten Volkswut. . ., dachte der Sprachknabe, der sich mit der Zeit eine recht hübsche Übung darin erworben hatte, seine Gedanken zu verbergen.
„Heute noch, spätestens morgen wird es sich also entscheiden, ob Ibrahim Pascha sein Leben behalten wird“, sagte Herr von Talmann.
„Und der Sultan seinen Thron“, fügte Dolmetscher Momars hinzu, ein bewährter Angestellter, der als Sohn eines niederländischen Kaufmanns über mehr Einblicke in internationale Verhältnisse verfügte als die andern.
„Wieso?“ staunte Talmann. „Die Truppen sind doch mit ihrem Padischah zufrieden?“
„Sagen die. Aber hinterher wollen sie ihn doch nicht. Vergessen Herr Baron bitte nicht, daß Sultan Ahmed bereits siebenundzwanzig Jahre regiert und daß bei jedem neuen Padischah ein neues Thronbesteigungsgeschenk an die Truppen fällig wird. Es ist etwas reichlich lange her, seit das letzte bezahlt wurde.“
In Ermangelung des Prädikats ,Exzellenz' wurde Herr von Talmann von seinen Angestellten ,Herr Baron“ oder ,Euer Hochwohlgeboren“ genannt. Von der Pforte und den Gesandtschaften war ihm die ,Exzellenz“ im amtlichen Verkehr freilich nicht vorzuenthalten. Dieser Umstand stachelte jedoch nur die talmännische Eitelkeit, ohne sie zu befriedigen, und die frechen Sprachknaben, denen dies nicht verborgen blieb, nannten darum ihren Vorgesetzten, wenn sie unter sich waren, eine ,halbe Exzellenz“.
„Nun, wir werden ja sehen“, meinte Seine ,halbe Exzellenz“ und gab sich damit einen Anschein von Gelassenheit, der nicht verhindern konnte, daß seine Gedanken sich immer wieder dem ,Prinzen“ zuwandten. Die Höflichkeit des Alten war nicht zu bezweifeln, dennoch hatten die höheren, hohen, bis zu den meisten höchsten Beamten kaiserlicher Majestät einen gehörigen Schuß Angst vor ihm in ihrem Blut. Talmann ertappte sich bei dem unmöglichen Gedanken, ob man ihm wohl aus dem, was sich am jenseitigen Ufer des Goldenen Horns abspiele, einen Vorwurf machen könne? Nein, das freilich nicht, beruhigte er sich. Immerhin gebe es anderes. Da sei doch noch immer diese scheußliche Geschichte ... Er seufzte.
„Hat man noch immer nichts von der Baronesse gehört?“ fragte er dann.
Weil im Augenblick doch nichts zu tun war, als zu warten, konnte er sich diese unnütze Frage erlauben. Denn natürlich hatte niemand etwas vernommen. Nur Dolmetscher Niclas Theyls, der für derartige gar nicht seltene Aufgaben zuständig war, fügte hinzu, daß er diese Ergebnislosigkeit einfach nicht verstehe, der Fall habe scheinbar so einfach gelegen .. .
Jawohl, einfach! Das sei es ja gerade: als einen ganz einfachen Fall habe Wien ihn bei der Auftragserteilung bezeichnet, dachte Talmann, und nun . ..! Wenn es sich um einen kaiserlichen Schützling gehandelt hätte, sei es schon schlimm, aber beim Alten eine Katastrophe! Und dann gingen seine Vermutungen den gleichen Weg wie die des Herrn von Koch in der Himmelpfortgasse. - Er gab sich einen Ruck. „Versprecht fünftausend Gulden für jede Mitteilung, die dazu führt. . .“ Thalmann unterbrach sich. „Was ist?“
Der
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