Der Eunuch
Schutz!“
Ein derartiger Ausruf wurde in Tagen wie diesem zum erstenmal in Konstantinopel gehört. Ganz vertrauenerweckend klang er, und mancher fromme Moslim mochte sich zu dieser Stunde wünschen, ein
Giaur zu sein, wie etwa die Gesandtschaftsleute des Königs von Böhmen.
Die einheimischen Angestellten zählten dabei allerdings nicht mit. Sie waren Moslemin, diese Kanzlisten, Schreiber und Bediensteten und natürlich auch die Kawasse, die Gesandtschaftswachen in ihren goldstrotzenden Röcken, weiten Pluderhosen und dazu die prächtigen Säbel. Mit solchem Prunk halfen diese Männer des Schwertes die Würde eines Monarchen vertreten, von dem sie selbst sich so recht gar keine Vorstellung machen konnten. Die meisten von all diesen Leuten, bewaffnet oder nicht, waren denn auch verschwunden. Was inzwischen auf der Straße geschah, war eben ihre eigene Angelegenheit. Das eigentliche Gesandtschaftspersonal bestand, wie sich das für die Vertretung einer apostolischen Majestät gehörte, aus christlichen Abendländern. Es waren der Freiherr von Talmann, ein noch jüngerer, wohlakkreditierter Herr, und seine bürgerlichen Mitarbeiter, die in der Gehaltsliste als vier Dolmetscher und - dem Pfortenbrauch folgend - als sieben Sprachknaben aufgeführt waren. Die letzte Bezeichnung war gar nicht einmal so falsch, weil es sich nicht wie bei der Pforte um zuweilen recht ausgewachsene, ja selbst ältere Herren, sondern tatsächlich um Anwärter handelte, um Dolmetscherlehrlinge und jugendliche Leichtfüße. Wenigstens waren sie das, wenn man Herrn von Talmanns Vorgänger, dem Freiherrn von Dirling, glauben wollte, der sich in Wien heftig dagegen verwahrte, daß man Sprachknaben von schlechter Aufführung womöglich hinterher noch in andern Ämtern Unterschlupf gebe.
Wahrscheinlich wäre Herr von Dirling mit der Aufführung seines Nachfolgers ebenso wenig einverstanden gewesen. Denn was tue der offenbar noch ganz unreife Diplomat? hätte Dirling vorstellen müssen. In dieser ernsten Stunde sitze er in seinem Gesandtschaftstschardak und nicht etwa allein und heimlich, sondern inmitten seiner gesamten Dolmetschergesellschaft, obwohl er doch wissen könne, welche Herausforderung das für die muselmanische Bevölkerung sei.
Herr von Talmann wiederum hätte wohl entgegnet, daß eine Tatsache, um eine Herausforderung zu werden, erst einmal bekannt sein müsse. Und noch vieles andere hätte er sagen können und sicher auch ge-sagt. Er hatte die große Anziehungskraft einer rebellierenden Stadt auf die Abenteuerlust junger Leute in Betracht gezogen und hielt seine Sprachknaben darum lieber unter seiner und seiner älteren Dolmetscher Aufsicht. Heimliche Nachrichten liefen trotzdem ein, konnten besprochen und, wenn nötig, auf gleichen Wegen durch Stafetten nach Wien befördert werden. Hinzu kam noch, daß die Gesandtschaft auf einem erhöhten Platz Peras stand und von ihrem Tschardak aus einen vortrefflichen Überblick über Galata, den Hafen, den Bosporus, die Serailviertel - kurz über das ganze Aufstandsgebiet bot. Jede Feuersbrunst und fast jedes andere außergewöhnliche Ereignis konnte von hier aus bemerkt und mit Hilfe der beiden Teleskope, die man zur Hand hatte, beobachtet werden.
So viel wußte man bis jetzt: Um zehn Uhr nachts war der Padischah von Skutari aus am Kanonentor gelandet und hatte sich mit den Ministern und Ulema sogleich zu einer Dauersitzung in den Zwischensaal vor dem Gemach des Prophetenmantels begeben. Auf Antrag des Großwesirs war Sulali Hasan Efendi, der frühere Richter von Konstantinopel, durch den Bostandschibaschi hinzugezogen worden. Ibrahim Pascha hatte also ganz richtig, leider freilich etwas spät erkannt, wieviel darauf ankomme, den Verärgerten zu gewinnen. Er rechnete jedoch damit, daß Sulali das Oberstlandrichteramt vielleicht doch lieber aus der Hand eines richtigen Padischah als aus den Händen von Rebellen entgegennehmen würde. Ferner hatte Ibrahim einen Auszug mit der heiligen Fahne angeregt, dem vom Janitscharenaga entgegengehalten worden war, daß man dann Gefahr laufe, die Fahne an die Aufständischen zu verlieren. Um wenigstens etwas zu tun, hatte man also beschlossen, das Heiligtum am Mitteltor auszuhängen. Aber die Ausrufer des Serail waren mit ihrem Auftrag, zur Fahne zu rufen, nur im Bereich der Moschee Aja Sophia zu Worte gekommen, um auch dort bald wieder zu verstummen. Von da ab hatten die Ausrufer der Rebellen die ganze Stadt beherrscht.
Alles war vergebens gewesen und
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