Der Eunuch
sie zu erfahren. Er gab also zu, daß es trotz Allahs Verbot auch in der Türkei Trinker gebe. Aber es sei zu tadeln, wenn Dewlet sich diesem Laster etwa in Gegenwart einer Hanum hingegeben habe.
„Aber nein! Ich nehme nur an, daß er betrunken war. Gesehen habe ich ihn überhaupt nicht. Ich war ganz woanders“, versicherte sie. „Er schickte nur nach mir . . . und ich hab’ es ja auch gar nicht getan!“ „Was nicht getan?“ forderte er sie weiter heraus, bis sie schließlich seinem Blick mit einem Lächeln begegnete.
„Ich sollte sie zögerte - „ach was!“ - entschloß sie sich dann tapfer: „Er verlangte, ich sollte mich ausziehen. Splitternackt, verstehen Sie? Und in diesem Zustand sollte ich vor ihm erscheinen. - Er mochte sich davon etwas versprochen haben; aber ich glaube nicht, daß er vor Entzücken gleich tot umgefallen wäre, wenn er mich ohne Kleider zu sehen gekriegt hätte. Und mir wäre auch nichts abhanden gekommen. So betrunken, wie er gewesen sein muß, hätte ich ihn, wenn es nötig geworden wäre, mit einigen gekonnten Griffen weit eher überwunden als er mich.“
Beschir überlegte, ob dieses Mädchens erstaunlicher Freimut wohl echt sei, besonders als sie noch hinzufügte, daß sie den Landesbrauch ja nicht kenne und daß Dewlet Bey sich offenbar mit seinem Verlangen im Recht gefühlt habe.
Ganz Ablehnung war Beschir, als er kühl erwiderte, der Landesbrauch sei genau derselbe wie bei allen gesitteten Menschen in der ganzen Welt. Dagegen müsse er sich sehr wundern, wie sie, ein vornehmes Fräulein von Adel, sich selbst in einer derartigen Lage nur habe vorstellen mögen. „Sie machen sich das sehr leicht“, gab ihm das vornehme Fräulein zurück, „von einer Hanum hat man mir nichts gesagt, sondern nur, daß ich Dewlets Sklavin sei. Ich war auf allerhand gefaßt und habe mich in ganz andern Lagen vorgestellt, als ich mich weigerte. Einen Augenblick dachte ich sogar daran, mich zu fügen.“
„Aus Angst?“
„Kaum. Ich langweilte mich nur so sehr. Aber nur einen ganz kleinen Augenblick dachte ich es. Dann fand ich diesen Dewlet Bey wieder völlig unmöglich.“
„Einen so gutaussehenden Mann?“
„Jawohl“, lachte sie, „Augen wie Sterne am Nachthimmel des Paradieses und so ähnlich. Außerdem noch so eitel! Das war auch kein Wunder. Sein Weibervolk umschwärmte ihn wie eine Horde läufiger Katzen. Einfach widerwärtig. Und nun wundern Sie sich und machen mir Vorwürfe, obwohl ich es ja gar nicht getan habe? Ich bin es durchaus nicht gewohnt — das können Sie mir glauben! —, mich vor Männern auszuziehen, die mich nichts angehen, und einer, der mich was angegangen hätte, war noch nie da. Leider.“
Beschir tat ganz ernsthaft und nickte. Er könne nun auf ein Leben von beträchtlicher Länge zurückblicken, sagte er, doch eine Frau wie sie habe er noch nie gesehen.
Das komme dann daher, daß er seine Augen nicht richtig aufgemacht habe. Er verstehe eben nichts von Mädchen, und umlernen sei auch nichts für ihn. Dafür scheine er ihr nicht mehr jung genug zu sein. Überhaupt habe sie ihn in einer lächerlichen Weise überschätzt. Er gehöre auch nur zu den Allerweltsleuten, die ihre blöden Vorurteile für Naturgesetze halten.
„Leider“, sagte er und lachte in ihr zorniges Gesicht, „leider können wir dieses Gespräch erst in einigen Tagen fortsetzen“, fuhr er ernster fort. „Ich hüte mich, Ihnen zu befehlen. Ich kann Sie nur bitten: Verlassen Sie diesen kaiserlichen Palast nicht. Wir haben Revolution. Kurze Zeit nachdem ich fort bin, wird alles, was Sie brauchen, zu Ihrer Verfügung stehen: Bedienung, Bäder, Kleider und, wenn Sie wollen, auch Gesellschaft.“
„Soll ich mich um die Frau kümmern?“
„Patronas Rakije? Sie neigt zur Eifersucht, und alles, was Mutter und Kind gefährden könnte, ist zu vermeiden. In wenigen Tagen, Dame, werden wir alles besprechen, und dann können Sie gehen, wohin Sie wollen, mit jeder Förderung und jedem Schutz, die der Kaiser - ich meine natürlich Seine Erhabenheit unsern Padischah - Ihnen geben kann. Bis das Personal hier ist, lasse ich Ihnen Mußli.“
Eine Antwort wartete Beschir nicht ab. Er klatschte in die Hände, gab seine Befehle und war mit Patrona allein.
„Sie werden didi auf dem Fleischmarkt vermissen“, begann Beschir. „Ich hätte hier nicht so lange herumlungern dürfen.“ Patrona Chalil sorgte sich und verdichtete seine Sorge zu einem Angriff. „War das Gespräch mit dem Mädchen so
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