Der Eunuch
Zeit für gekommen. Fast feierlich wurde er.
„Allahs Segen über dich, Patrona Chalil. Du bist ein großer Mann. Heute wendest du das Schicksal der Rechtgläubigen.“
Wie bereits allem Irdischen entrückt, stand er mit einem versonnenen Lächeln da und schien kaum den Handkuß zu bemerken, mit dem sich sein Schüler von ihm verabschiedete.
9
Es war kein Wunder, daß man auf dem Fleischmarkt, wütend und sich selbst überlassen, wie man war, einfach dazu überging, nicht nur Generäle und Würdenträger abzusetzen, sondern auch gleich neue zu ernennen, ob die Erwählten nun wollten oder nicht. Keiner von den hohen Truppenoffizieren hatte sich bis jetzt den Aufständischen zugesellt. Alle waren im Serail oder hielten sich versteckt. Aber den alten Sulejman, den Mustermeister der Janitscharen, hatten sie erwischt. Ihm half es gar nichts, daß er sich in seinem Hause verkrochen hatte. Man stöberte ihn auf, zerrte ihn heraus und machte ihn zum Reis Efendi, nämlich zum Außenminister. Wenn er sich geweigert hätte, wäre sein Leben keinen Asper wert gewesen.
Weniger Umstände machte der ehemalige Richter von Konstantinopel, Seine Ehrwürden Sulali Hasan Efendi, den der Großwesir Ibrahim noch in letzter Minute für den Padischah zu gewinnen gehofft hatte. Auf dem Fleischmarkt entschied sich der Unversöhnliche gegen den Padischah, indem er die Würde des Oberstlandrichters von Anatolien statt vom Kaiser von dessen Truppen in der nicht unbegründeten Hoffnung entgegennahm, daß die Truppen ihn eher erhalten könnten als der entmachtete Herrscher.
Zwei Todesurteile fällte Sulali mit diesem Entschluß: sein eigenes, falls es ihm jemals einfallen sollte, jene Nacht mit dem Kislar in einem verborgenen Basarwinkel und die Lehren, die er daraus hatte ziehen können, zu vergessen - in jedem Fall aber das Todesurteil eines andern, weit über ihm stehenden Mannes. Als Gesandter des Padischah war er auf dem Fleischmarkt erschienen, als Gesandter des Fleischmarkts kehrte er zum Padischah zurück. In gleicher Eigenschaft begleitete ihn der alte Sulejman. Die Antwort, die beide brachten, bestand auf den alten Forderungen und begehrte darüber
hinaus die sofortige Bestätigung aller auf dem Fleischmarkt erfolgten Ernennungen.
Diesen Ernennungen wandte man sich vorerst im Serail zu, um dadurch die Entscheidung über die Auslieferung des Kapudan, des Kiaja und vor allem Ibrahim Paschas noch hinausschieben zu können. Die Bestätigungen wurden zwar sofort gewährt; aber es verging eine lange Zeit mit der Ausfertigung der Urkunden, die zugleich allen Beteiligten völlige Straflosigkeit zusicherte, bis sämtliche anwesenden Ulema, Sulali eingeschlossen, sie als Zeugen unterschrieben hatten. Zum Schluß drückte der Großwesir das kaiserliche Tughra auf das Pergament.
Bevor er das Petschaft wieder an sich nehmen konnte, legte der Kislar seine Hand darauf. Alle Umstehenden wußten, was das bedeutete, und wichen zurück. Es entstand ein leerer Raum um Ibrahim und Beschir. Allen sichtbar, waren sie dennoch allein. „Abgesetzt?“ fragte Ibrahim. „Du sagst es.“
„Verhaftet?“
„Ja.“
„ Iich bin ein toter Mann“, sagte Ibrahim nach einer Pause -, „ich weiß es. Dir liegt es jetzt ob, an die Rettung des Herrn zu denken.“ Trotz des Wortsinnes hörte Beschir aus dem Klang dessen, was Ibrahim sagte, eine leise Hoffnung heraus. Beschir hätte diese Hoffnung auslöschen können. Sultan Ahmed hatte seinen Unterhändlern den geheimen Auftrag mitgegeben, im schlimmsten Falle auch den Großwesir zu opfern. Ahmed war nicht der Herrscher, mit dem ein Reich zu retten war. Beschir wußte das, aber er verschwieg es. Warum einem Verurteilten mehr aufbürden, als nötig sei? Wenn Ibrahim das Vergebliche seines Hoffens einsehen müsse, sei auch der Tod schon da und alles vorüber.
„Der Padischah wird leben“, war Beschirs Antwort.
Es wäre unmöglich gewesen, dem kaiserlichen Harem etwas von den Vorgängen in Stadt und Serail zu verbergen. Nur der Grad und die Art der Teilnahme waren verschieden. Im Neuen Serail befand sich der eigentliche Harem des regierenden Sultans, dessen Schicksal sein
Harem teilte. Im Alten Serail residierten die hinterbliebenen Gattinnen ehemaliger Padischahe. Diese Damen hatten, wie die Kämpfe auch ausgehen mochten, für sich selbst keine Veränderungen zu erwarten. Dennoch kam das Alte Serail als die Residenz der Tanten, Mütter und Großmütter zu hohen Ehren.
Siebenundzwanzig Jahre waren seit der
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