Der Eunuch
wichtig?“
Für einen einfachen Janitscharen war die Frage eine Frechheit. Doch Beschir selbst hatte Chalils Macht als Argument gegen Chalil gebraucht und sie damit anerkannt. Auch jetzt verhandelte er gleich zu gleich mit ihm. Es schien ihm das die beste Art, zu untersuchen, ob er in ihm einen Parteigänger oder einen Gegner sehen müsse.
„Gar nicht wichtig“, sagte er darum gelassen. „Ich hätte das Mädchen etwas später auch noch geheilt.“
„Aber dann ... Ich sage nichts gegen die Heilung. Sie trat schnell ein und war, wie ich sehen konnte, gründlich. Aber bei der Eile, die wir haben . .."
„Höre erst. Gerade das mit der Eile meine ich auch. Was wäre also, wenn inzwischen die kaiserliche Antwort auf dem Fleischmarkt eintreffen würde . .."
„Deine Exzellenz weiß . . .“
„Ich sagte: Höre. Wer selbst spricht, überhört manches, was ihm vielleicht von Nutzen hätte werden können. Vergiß nicht: Die Macht gefährdet. Am meisten den, der sie besitzt. Wer keine hat, kann sie nicht verlieren. Wer sie aber verliert, dessen Kopf schützt sie nicht mehr. Nun denn, ihr hattet den Kapudanpascha, den Kaimakam, den Mufti und den Großwesir verlangt.“
„Jawohl! Aber lebend!“ rief Patrona Chalil.
„Du brauchst nicht zu schreien, mein Sohn. Ich weiß es ohnehin. Also: Der Padischah hat den Kaimakam und den Kapudanpascha in das Gewahrsam des Bostandschibaschi gegeben . ..“
„Hat er? Aber das ist doch ein Sieg!“ jubelte Chalil. „Und was ist mit dem Großwesir und dem Mufti?“
„Der Padischah will sie beide absetzen und verbannen.“ „Verbannen?“
„Ganz recht. Ihr sollt auf ihre Köpfe verzichten. Hast du verstanden? Was, meinst du, wird man auf dem Fleischmarkt dazu sagen?“ „Aber den Kapudan und den Kaimakam bekommen sie lebend?“ „Die beiden sind beim Bostandschibaschi an der Pforte des Henkers.“ Beschir gab damit eine Auskunft. Die Auslegung überließ er Patrona Chalil. Der dachte nach.
„Was sie auf dem Fleischmarkt dazu sagen werden?“ meinte er dann. „Mit dem Mufti war es ja von Anfang an gar nicht so ernst gemeint. Die Ulema ohne Amt freilich; aber wir ..
„Und der Großwesir?“
„Absetzung und Verbannung ist für einen so alten Mann wie den Mufti eigentlich schlimm genug. Auch ist er ein Ulema. Für Leute wie wir ist es mißlich, ihn anzurühren. Es könnte eine schwere Sünde sein und uns am Jüngsten Tage angerechnet werden vor Allah. Was meint deine hohe Exzellenz?“ fragte Patrona Chalil reichlich unsicher. Er wäre froh gewesen, wenn er von Seiner hohen Exzellenz erfahren hätte, was er meinen solle. Aber Beschir tat ihm den Gefallen nicht. Er war ganz Ironie und Verachtung.
„Ich sprach vom Großwesir, Chalil.“
„Gewiß, natürlich . . . aber was hat er eigentlich getan?“
„Das müßt ihr wissen. Ihr habt ihn lebend verlangt. Ich vermute, nicht um ihn am Leben zu lassen.“
Beschir sah zum Fenster hinaus. Wind war aufgekommen. Die Kastanien prasselten zur Erde, welke Blätter wirbelten über sie hin. Das alles sah Beschir und sah es nicht. Nichts durchdrang sein Starren. - Was Ibrahim getan habe, frage dieser Janitschar? Ohne Augen sei er, der so frage, und so wie er seien seine Gefährten und das Volk. Ibrahims Staatsbibliotheken und andere Bauten, seine Friedenspolitik und seine sehr menschliche, kluge Verwaltung im Innern, auch die zwölf Jahre, die er, Beschir, mit ihm zusammengearbeitet habe - alles, alles spreche für Ibrahim. Und nun frage dieser Janitschar: was Ibrahim eigentlich getan habe? Aber Chalil und das Volk seien immer nur vor vollendete Tatsachen gestellt worden, niemand habe ihnen das Warum genannt. Wenn hier Schuld sei, treffe sie andere, etwa ihn, Beschir, der zwar nicht zu den Regierenden, aber, was mehr sei, zu den Herrschenden gehört habe und gehöre.
„Wenn die Truppen die beiden andern kriegen“, hörte er Patrona Chalil sagen, „dann wissen sie, warum sie ihre Kessel auf den Fleischmarkt geschleppt haben, ob zwei oder vier, ist nicht mehr ganz so wichtig. Die Hauptsache ist doch, daß der Padischah guten Willen zeigt, und das tut er doch, sag selbst, Exzellenz . ..“
Ganz recht, jetzt müsse er, Elhadsch Beschir Aga, sich umwenden und diesen Revolutionär aus seiner, Beschirs eigenen, Macht bestärken, jetzt sei der Augenblick der Entscheidung . . .
„Und sie werden ja auch verbannt“, fuhr Chalil fort, „was können sie dann noch schaden? Den Großwesir schickt möglichst weit weg. Nach Kaffa
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