Der Eunuch
des Kislars erhalten, die man von irgendeiner Seite, der man es am wenigsten zugetraut hätte, ganz überraschend zu erhalten pflegte. Abgesehen von einigen ihrer vertrautesten Ehrenmädchen, war sie also allein, als ihr Lala, ihr Hofmeister, den Kislar bei ihr einführte, der nun mit gekreuzten Armen in tiefer Verneigung vor ihr stand. Der Kislar selbst war der Wächter über diese Formen, und sich über sie hinwegzusetzen, wäre in jedem Fall undenkbar gewesen. Immerhin hinderten sie nicht, daß die Mädchen sich nach und nach unter irgendwelchen Vorwänden verflüchtigten und die Sultana mit dem Kislar nun wirklich, wie Beschir es gewünscht hatte, allein war.
Keiner von beiden hatte die Unschicklichkeit begangen, in Gegenwart anderer die Wirren um das Neue Serail zu erwähnen. Auch jetzt fuhren sie in ihrem Spiel fort, das sie in Erinnerung an den persischen Schah auch so nannten.
„Schah dem Schah“, sagte Beschir.
„Ist das nicht eine Majestätsbeleidigung?“ scherzte die Sultana. „Nicht, wenn es sich aus den Tatsachen ergibt. Wollen Hoheit sich überzeugen?“
„O bitte!“ widersprach sie, „ich kann meinen Schah noch hierherrücken ! “
„Und der Renner, kaiserliche Hoheit...?“
„Dann dorthin .. . aber nein! Dann kommt eine hohe Exzellenz mit ihrem ungezogenen, ganz gemeinen Soldaten .. ." Sie warf die Figuren des Spiels durcheinander. „Dieses Spiel sollte verboten werden“, sagte sie. „Ist es nicht scheußlich, daß ein einfacher Soldat einen Herrscher zu Fall bringen kann?“
Beschir erhob sich.
„Zweifellos muß dieser Gedanke einen loyalen Untertan verletzen“, gab er zu und nahm das Schahspiel an sich. „Wenn kaiserliche Hoheit also geruhen sollten .. .", damit wies er auf die zwei Sofas mit Tischen in der Mitte des Raumes.
Auch Aigische stand auf. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, daß der Kislar etwas Sinnloses tun könne. Widerspruchslos nahm sie den Platz ein, den Beschir ihr wies, und dämpfte unwillkürlich die Stimme.
„Was bedeutet das, mein Freund?“
„Eine kleine Vorsicht für den Fall, daß unser Gespräch eine Wendung nehmen sollte, bei der unbekannte Lauscher nicht erwünscht wären.“
„Dort?“ fragte Aigische mit einer Wendung des Kopfes zu dem Platz hin, den sie soeben verlassen hatte.
Kislar nickte.
„Schon zu Zeiten Hochdero erlauchten Vorgängerin in diesen Räumen bestand jene Abhorchröhre.“
„Und Sie ließen sie nicht entfernen?“
„Wozu? Ich wußte, daß mein Beauftragter mich verriet, und das machte mir ihn so wertvoll. Denn schließlich konnte es mir nur nützlich sein, wenn man jedes Wort erfuhr, das ich hier in den letzten Jahrzehnten sprach, wie es mir nützlich war, jedes Wort zu wissen, das hier gesprochen wurde - besonders über mich. Oh, meine hohe Freundin“, wandte er sich ihr, die plötzlich ein so ernstes Gesicht machte, mit überzeugender Herzlichkeit zu, „ist es nicht etwas sehr Gutes, daß wir die besten Gründe haben, einander zu vertrauen?“ „Wieviel Umstände um eine alte Frau, wie ich es bin.“ Sie lächelte nun doch. „Lassen Sie mir die Ruhe meines Verzichts.“
„Kein Verzicht ist endgültig. Warum müßten sonst die Nonnen und Mönche in den christlichen Klöstern, die so versessen darauf sind, sich des Lebens zu enthalten, ohne es aufzugeben, immer wieder versuchen, ihren Verzicht durch Ruten und Fasten zu erneuern? Warum das Gespräch abbrechen? Kaiserliche Hoheit meinten, wenn ich recht verstanden habe, es sei scheußlich, daß ein einfacher Soldat einen Herrscher zu Fall..."
Er konnte den Satz nicht beenden: ein schlanker Mann Anfang der Dreißig war eingetreten. Über dunklen, etwas verschleierten Augen lagen schwarze, breite Brauen, seine Oberlippe zierte ein Bart. Der Verzicht auf den männlicheren Vollbart unterstrich des Eintretenden Jugendlichkeit und hatte die gleiche Bedeutung wie der Verzicht auf Frauen, obwohl der Mann eine große Anziehung auf sie ausübte und ein eigener Harem seinen Jahren zugekommen wäre. Seine Kleidung war gepflegt, aber überaus einfach. Ein schmaler weißer Kopfbund bändigte seine Haare. Dennoch machte er den Eindruck eines etwas überzüchteten Mannes aus altem Geschlecht. Und das war er auch:
ein kaiserlicher Prinz aus der erlauchten Herrscherfamilie Osman -zugleich ein armer Gefangener.
Als kleines Kind war Sultan Mahmud mit seinem abgesetzten Vater und drei Halbbrüdern in den Prinzenkäfig des Neuen Serails gekommen. Dort befand er sich heute noch,
Weitere Kostenlose Bücher