Der Eunuch
... in Stambul?“
„Darüber kann man Ihnen in Wien erschöpfende Auskunft geben. Seien Sie dessen versichert.“
„Von wo aus will man midi denn zurückbringen?“ ärgerte sich nun auch Julienne. „Etwa aus einem Sklavenbasar?“
„Nicht gerade. Aber aus einem Kloster.“
„ Iich denke nicht daran. Iich ziehe den Sklavenmarkt vor.“
„Wir aber nicht. In Fällen wie den Ihren müssen christliche Mädchen in ein Kloster. Das gibt ihnen einen Heiligenschein und damit alles zurück, was sie inzwischen etwa verloren haben könnten.“
„Und Sie, ein Haremseunuch, verfügen so schlankweg über christliche Klöster?“ fragte sie, nicht ohne die Absicht, ihn zu kränken. „Zuweilen, mein Kind“, sagte er, und er sagte es ganz gelassen. „Der Islam ist von sich aus tolerant, und so haben wir bei uns Kirchen und Klöster. Oder wissen Sie etwas von Moscheen in Rom, in Paris oder Wien? Ich nicht. Alle diese Griechen, Jakobiten, Armenier, Katholiken brauchen einen Schutzherrn, und das ist in der Türkei unser Padischah. Das andere ergibt sich daraus von selbst. Wir haben in Stambul mehrere katholische Klöster. Suchen Sie sich eins aus. Da sind zum Beispiel die Carmeliterinnen ...“
Er hätte nichts Schlimmeres sagen können, um Julienne in Harnisch zu bringen.
„Das fehlte noch!“ rief sie empört. „Die Spanierin, die heilige Theresa? Wissen Sie, was die getan hat?“
„Wieso: ,getan hat“? Wenn sie es nicht mehr tut?“
„Die ist doch an anderthalb Jahrhunderte tot!“
„Was geht sie uns dann noch an?“
„Aber ihre Regeln leben! Nichts als Prügeln hatte sie im Kopf. Ihren Mönchen zog sie die Hosen aus. Sie waren ihr dabei offenbar im Wege. Statt dessen mußten die Patres und Fratres Filzschürzchen vorbinden. Und ihren Nonnen zog sie Hosen an, die bisher nur Tänzerinnen hatten tragen müssen.“ „Was macht Ihnen das aus, Julienne? Sie tragen ja schon Hosen. Ins Kloster dürfen Sie damit freilich nicht. Fränkische Kleider liegen schon bereit, ein ganzer Haufen zur Auswahl. Kleider, Julienne!“ beschwor er sie mit dem wirkungsvollsten Appell, den er für solche Fälle kannte. „Freilich, von Hosen und Filzschürzchen ist mir nichts bekannt“, fuhr er fort, um sogleich wieder dringlich zu werden. „Ich bitte, Julienne, sperren Sie sich doch nicht! Sie sind ja nur Gast im Kloster. Nur für wenige Tage. Die Nonnen werden Sie auf das ehrenvollste aufnehmen und bedienen. Vergessen Sie nidit, Julienne: Stambul ist uns nicht zu weit, und mit uns kann der Papst nicht so umspringen wie mit dem Kaiser in Wien. Unser Papst ist der Padischah. Julienne . . .! “ Julienne stand am Fenster und antwortete nicht. Sie blickte auf das Goldene Horn, über die Stadt der sieben Hügel, über die Kuppeln, die sich wie Himmelsstürze auf die Moscheen senkten, über die strahldünnen Minarette und Schiffe, jedes ein Bote aus anderen Ländern nach anderen Ländern - und sie sollte nun zurück nach Promontor, zu Nachbarn, denen sie unverständlich war, zu Unterdrückten, denen sie nicht helfen konnte, ohne eine andere Aufgabe, ein anderes Ziel, als älter und alt zu werden und schließlich zu sterben? Und das viele, viele Jahre? - Einmal leben! wünschte sie sich, ihretwegen kurz und dann aus; aber leben! In einer Stadt wie dieser, die der Blume gleich den Schmutz, dem sie entstiegen, zur Schönheit wandelte . . . „Julienne ...!“
Sie hörte Beschirs beschwörende Stimme und blickte sich um. Er aber sah ihr in die Augen und verstand plötzlich mehr als sie selbst von dem, was sie bewegte. Ein neuer Gedanke überkam ihn. Alles Drängende fiel von ihm ab. Er hatte Zeit.
„Und Wien?“ fragte Beschir.
„Glauben Sie, daß ich hinkomme?“
Beschir ließ sich absichtlich breit über die Reisevorbereitungen aus. „Wir werden Ihnen eine Eskorte geben, die Aufsehen erregen soll und erregen wird. Unser Hof ist wegen seiner prunkvollen Aufzüge berühmt. Bei Ihrer Rückkehr wird nichts an Hofkarossen und Ehreneunuchen gespart werden. Auch für eine Abteilung berittener Bostandschi - kaiserliche Palastwächter, meine Liebe! — mit der sechsfach bespannten Ehrenkutsche für Sie selbst wird gesorgt sein. Zwei Kämmerer werden in ihren scharlachroten Gewändern sehr wirkungsvoll Ihren Kutschenschlägen zur Seite reiten. Dazu kommen dann noch die Beamten des Defterdars, des Kiajas und des Reis Efendi, jeder mit seinem eigenen Gefolge. An vierzig Wagen werden dabei herauskommen ohne das, was Herr von Talmann noch
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