Der Eunuch
und dies Gesetz zu übertreten ist keineswegs so ungefährlich, wie Sie vielleicht glauben möchten. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein Mann, der zwei seiner Sklavinnen gepeitscht hatte, dafür den Tod am Haken erlitt. Dabei dürfen Sie getrost annehmen, Julienne, daß seine Grausamkeit hinter der einer Gräfin Batthany um vieles zurückblieb. Wenn auch — um alles zu bedenken - beim Urteil mitgewirkt haben mag, daß der Mann ein Jude und die beiden Mädchen rechtgläubige Moslemin waren, so wäre das Vergehen doch in keinem Fall unbestraft geblieben.“
Julienne war traurig, auch über Beschir - gerade über ihn. Was könne es ihm schon ausmachen, sie bei ihrer anerzogenen Überzeugung von der Minderwertigkeit des Ostens zu lassen? Es gab Grundsätze und Überzeugungen, über die sie nie nachgedacht hatte, weil ihr niemals eingefallen war, darüber nachdenken zu müssen. Und nun auf einmal stand bei ihr nichts mehr fest. Jetzt, da sie Konstantinopel verlassen sollte, da alles für ihre Abreise vorbereitet wurde, obwohl die Zukunft sehr unklar vor ihr lag - jetzt hätte sie dringend der unerschütterlichen Überzeugung bedurft, daß eine Dame ihrer Abkunft sich nur für begrenzte Zeit in Konstantinopel aufhalten könne, als Frau eines Gesandten oder sonst in einer von ihrer abendländischen Heimat gesicherten Lage. Die Vorstellung, daß sie als ein dazugehöriger Teil in diese Welt einträte und in sie eingeschmolzen würde, sei als völlig unstatthaft beiseite zu schieben. Dies alles hätte er, dieser Beschir, fühlen und bei seiner Klugheit einfach wissen müssen. Und er wisse es auch, überfiel es sie. Aber statt ihr zu helfen . . .!
„Ich hätte es mir gleich sagen können“, rief sie voll Wut, „immer haben Sie recht. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich noch mit Ihnen rede!“
„Wissen Sie es wirklich nicht?“
„Nein!! Aber Sie natürlich, Sie wissen es.“
„Ich glaube: ja.“
„Dann sagen Sie es doch. Aber ich leugne alles. Mögen Sie noch so recht haben!“
14
Beschir begann mit dem, was Julienne gerade eben als eine Ungeheuerlichkeit in ihren Gedanken abgelehnt hatte.
„Sie reden mit mir, Baronin“, sagte er, „weil es Ihnen so schwerfällt, sich von uns zu trennen.“
Das Allerschlimmste sei, daß er die Wahrheit sage, dachte Julienne sofort und wandte sich ab. Am Fenster stand sie und sah auf die Stadt hinab, als solle es das letztemal sein. Es sei etwas anderes: in Promontor leben oder wieder hinmüssen, nachdem man in Konstantinopel gewesen sei. Und Wien . . .?
Beschir überließ sie vorerst sich selbst.
In Wien, wenn man sie überhaupt hinließe, würde sie im wesentlichen das sein, was die Geburt im Guten und im Bösen aus ihr gemacht habe, überlegte sie. Die Machtstellung des Prinzen, der sie schon so viel verdanke, könnte noch ein übriges tun; aber sie würde auch die Gegnerschaft seiner Feinde mit zu ertragen haben, ohne deswegen der Freundschaft seiner Freunde sicher zu sein. Sie dachte an die Batthany. Etwaige verwandtschaftliche Gefühle, wenn der alte Herr ihrer überhaupt fähig sei, würde die Gräfin dem Prinzen schon austreiben und nichts für sie, Julienne, übriglassen, als was Schicklichkeit und Anstand ihm gebiete. Etwas wenig sei das, fand Julienne. Die Rolle einer Edelfrau mit einem Haufen Kinder und einem langweiligen oder weniger langweiligen Mann, den sie wahrscheinlich mit jeder hübschen Gutsmagd zu teilen hätte, sei auch nicht nach ihrem Geschmack. Schon mit dem Gedanken, daß die Magdskinder die Leibeigenen ihrer eigenen zu sein hätten, würde sie sich schwer abfinden können. Und dies alles sei im besten Fall nur eine Hoffnung und keineswegs eine Gewißheit, von der Gebrauch zu machen ihr jederzeit freistehe. Ihre eigene Welt sei eine der Kasten mit unzähligen, kaum wahrnehmbaren Unterteilungen, doch selbst der kleinste Teil vom andern durch schwer übersteigbare Mauern getrennt, ohne Möglichkeit, sich als Mensch den eigenen Kräften gemäß zu entfalten. „Sie versprachen zu leugnen“, hörte sie Beschir sagen. „Warum leugnen Sie nicht, Julienne?“
Das Sprechen fiel ihr schwer, und so schüttelte sie nur den Kopf. Doch dann raffte sie sich zusammen.
„Ich leugne nicht. Was hätte das auch zu bedeuten? Bis jetzt bat mich niemand zu bleiben.“
„Sie meinen, der Harem bat Sie nicht? Der Harem kann Sie nicht darum bitten. Sie sind nicht die Frau, die man als Gunstbeweis an einen hohen Würdenträger verheiraten kann, und Sie
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