Der Eunuch
Wiener Minister oder gar der Prinz wäre, mir Ihre Mitarbeit nicht entgehen lassen.“
Julienne lachte nur. Denn man habe sie doch in Ungarn begraben, und die Spitze des Stephandomes habe sie noch kein einziges Mal gesehen. Mochte Julienne auch noch so viel lachen - deswegen minderte Beschir seine Vorsicht nicht. Auch der Umstand, daß ihm das Mädchen gefiel, konnte das nicht bewirken. Sie war der Gegner, der mögliche Gegner, und das genügte.
13
An vielen Dingen nahm Beschir mit seinem stets wachen Verstand Anteil; aber der Inhalt seines Lebens war das Osmanische Reich. Das Menschlich-Allzumenschliche war ihm eine Selbstverständlichkeit - aber nur bei den andern. Er rechnete damit, daß die Bemühungen der türkischen Staatsmänner genau so, wie es bei den Staatsmännern anderer Völker der Fall sei, in erster Linie der eigenen Person gelten, dem Wunsch, sich im Amt zu halten, sich zu bereichern. Um diese Haltung mit ihrer Selbstachtung zu vereinbaren, seien die Staatsmänner aller Zeiten bereit, die eigenen Interessen für Staatsinteressen zu halten und das mit ihrer angeblichen Unersetzbarkeit zu begründen, wodurch das Eigenwohl zum Staatswohl werde. Bei solchen Meinungen, die durch die Tatsachen täglich als ebensoviele Wahrheiten verhärtet wurden, mußte einem Manne wie Beschir der Wunsch nach der absoluten, unkontrollierbaren Macht kommen, die unter Ausschaltung aller persönlichen Wünsche allein den durch Beschir vertretenen Reichsinteressen diene, einer geheimen Macht also, deren Grundlage und Maschinerie auch den Amtsträgern, und gerade denen, sowie den fremden Gesandten völlig unbekannt seien. Des Großwesirs Ibrahim Neuerungen waren schon in der Anlage ungeeignet gewesen, diese Macht zu schaffen. Ihr fehlte vor allem das Geheimnis. Zwar war auch Ibrahim die bei der Pforte übliche hochmütige Unwissenheit in bezug auf alle europäischen Verhältnisse bedenklich erschienen; aber er hatte sich dem französischen Gesandten als seinem Gewährsmann anvertraut, von dem ihm natürlich nichts mitgeteilt worden war, was nicht im Interesse Frankreichs gelegen hätte. Dieser Weg wäre für Beschir auch dann nicht begehbar gewesen, wenn er ihn nicht ohnehin verworfen hätte. Sein Amt unterhielt keinen unmittelbaren Verkehr mit Gesandtschaften. Beschirs Möglichkeit lag auf einem andern Gebiet. Er besaß ein Vermögen, über dessen Verwendung er nicht nur niemandem Rechenschaft schuldig war, sondern von dessen riesigem Ausmaß kein Mensch außer ihm selbst etwas ahnte. Freilich - daß ein Kislar Aga etwa arm sein solle, war so unwahrscheinlich, daß man ihn gelegentlich für einen
Geizhals hielt. Beschir hörte das gern. Auf diese Weise komme man nicht auf die Vermutung, daß er zur Erhöhung seiner an sich schon überaus großen Macht als Kislar Aga das Geld wohlbedacht, aber doch mit vollen Händen für seine Organisation ausgab.
Dabei ging er bei ihrem Aufbau von sehr einfachen Erwägungen aus. Er war überhaupt der Meinung, daß die wirklich großen Dinge dieser Welt, vor allem in der Politik, nur mit dem kleinen Einmaleins zu lösen seien.
Es gäbe, meinte er, mehr oder weniger Leute, die mehr oder weniger gescheit, mehr oder weniger brauchbar seien und sehr wenig oder gar kein Geld haben.
Unter diesen suchte er oder vielmehr ließ er seine Leute suchen. Von Hunderten von ihnen hatte kaum einer je ein Wort mit ihm gesprochen oder wußte auch nur, daß er mit der hohen Exzellenz des Kislar Aga in irgendeiner Beziehung stehe. Weit eher dachten sie an Spanien und dessen intrigante Königin Elisabeth Farnese oder an Frankreich. Sie wußten nur von einer geheimnisvollen Macht, und vor der fürchteten sie sich. Die ganz wenigen jedoch, die ihn kannten - und es waren nicht mehr an Zahl als die Finger einer Hand -, kamen nicht sechsspännig mit Vorreitern an wie Gesandte. Er sprach sie in irgendeinem Basarwinkel oder sonstwo. Das Ergebnis war dennoch oder gerade deswegen, daß er alles erfuhr, was er gerade wissen wollte oder was ihn interessieren konnte, und das sogar ziemlich zuverlässig. In wichtigeren Fällen ließ er sich zum Vergleich mehrere Berichte kommen, deren Urheber nichts voneinander wußten.
Julienne sei mit ihren Vermutungen der Wirklichkeit bedenklich nahe gekommen, dachte Beschir. An ihn selbst als an ein Machtzentrum denke zum Glück auch sie nidit, nicht einmal als Kislar Aga kenne sie ihn, und abendländischen Gehirnen seien seine amtlichen Funktionen überhaupt kaum verständlich. Er
Weitere Kostenlose Bücher