Der Eunuch
Frauen vor jeder Unbill zu bewahren. In einen fremden Harem einzudringen oder eindringen zu lassen, würde sich selbst der Kaiser überlegen.“
„Und was ist mit dem Schleier? Auf der Straße müssen ihn die Frauen noch dazu unmenschlich dicht tragen. Ganz entstellt sind die Ärmsten! “
„Rühren Sie nicht an den Schleier, Julienne. Welcher Mann würde es wagen, eine verschleierte Frau auf der Straße, anzuhalten? Im nächsten Augenblick wäre er zusammengeschlagen. Eine Frau, frei oder nidit, lenkt bei uns ihre Schritte, wohin sie will - und es wird immer sehr schwierig sein, zu erfahren, was sie dort tut. Können Sie das gleiche von den Abendländerinnen behaupten?“
„Sie machen es einem nicht leicht“, sagte Julienne. „Aber jetzt verstehe ich wenigstens genau, was Sie damit meinten, daß die Männer, je mehr sie die Frauen drücken, um so weniger in der Hand behalten.“
„Gerade soviel wie die Frauen wollen. Nicht mehr. Das gilt von allen, auch von denen des Abendlandes, obwohl sie sich nicht der gleichen Möglichkeiten wie unsere Frauen erfreuen.“
„Nidit?“ fragte Julienne ungläubig. „Das mit dem Schleier mag ja stimmen. Ich wenigstens kann nichts dagegen sagen. Aber sonst! Alle Welt weiß dodi, daß ihr eure Frauen in Harems sperrt, bewacht von -von . . .“
von Eunuchen wollten Sie sagen und erinnerten sich dann, daß auch ich einer bin. Seien Sie nicht so zartfühlend, Dame, das erschwert die Verständigung. Übrigens hat unser Padischah für seinen persön-lichen Dienst ebenfalls Eunuchen, die den Harem kaum je zu sehen bekommen. Es sind die weißen Eunuchen. Was sagt Ihre ,alle Welt“ darüber - etwa, daß diese Herren den Kaiser eingesperrt halten?“
In Erwartung einer Antwort hielt Beschir inne. - Doch Julienne hatte keine.
„Glauben Sie, daß es sich mit den Königinnen des Harems und den purpurgeborenen Prinzessinnen anders als mit dem Padischah verhält? Haben Sie in diesem Palast Kerkermeister und Gefangene bemerkt?“
„Nicht jeder Türke ist Padischah.“
„Wieviel weniger also kann sich der Untertan leisten, was der Padischah sich nicht erlaubt.“
Er sei unausstehlich, meinte Julienne, der es durchaus nicht gefiel, daß Beschir recht haben sollte. Aber eins sei doch wohl nicht zu leugnen, er möge sich wenden, wie er wolle: daß es in der Türkei Sklaven und Sklavenhändler gäbe. Sie sei neugierig, womit er ihr jetzt wohl kommen werde.
„Mit der Wahrheit“, sagte Beschir, „falls Sie das nicht allzu sehr verletzen sollte, meine Dame. Wenn es Ihnen so beliebt, können Sie den Dukaten einen Pfennig und den Pfennig einen Dukaten nennen. Das ändert aber nichts daran, daß die eine Münze aus Gold, die andere aus Kupfer ist. - Von der Größe gar nicht erst zu reden. -Ihr Abendländer nennt unsere Dienerinnen und Diener ,Sklaven“, ein Wort, das wir in unserer Sprache gar nicht haben, und eure eigenen Sklaven ,Leibeigene“, die ihr, wenn es sich ergibt, familienweise oder einzeln kauft oder verkauft. Die Rechtsverhältnisse eurer Leibeigenen sind, wie ich zugebe, unterschiedlich; aber das bedeutet wenig, wenn diese Leute, die sich um das Brot für die andern schinden, selber hungern müssen. Bei uns werden Sie einen Diener und nun gar eine Dienerin vergeblich auf Äckern suchen. Sie verrichten Hausarbeiten, die selten schwer sind.“
„Was wieder an dem andern nidits ändert“, entgegnete Julienne und genoß schon im voraus ihren Triumph, „daß sie alle - Leibeigene oder Haussklaven - ihre gesegneten Prügel bekommen, wenn es der Herrschaft so gefällt.“
Wider Juliennes Erwarten hatte Beschir für diesen Trumpf nur ein Lächeln.
„Als Sie mir von Dewlett Beys ungehöriger Zumutung an Sie erzählten, Julienne, war es nicht zu verkennen, daß Sie sich gar nicht vorzustellen vermochten, wir Rechtgläubigen könnten vielleicht menschenfreundlichere Gepflogenheiten haben als die Christen. Es ist anzuerkennen, daß Ihr Verhalten bei einer solchen Voraussetzung recht mutig war. Wenn ich Sie mir auf gleiche Weise in den Händen eines deutschen oder ungarischen Grundherrn denken müßte, wäre ich wesentlich beunruhigter. Denn bei uns hätte Ihnen in Wirklichkeit wenig geschehen können, auch wenn Sie Dewletts Dienerin oder, wie die Abendländer sagen, seine Sklavin gewesen wären. Der Herr oder die Herrin können allerdings das ihnen gehörige Gesinde schlagen. Aber die Grenze ist schnell erreicht. Nur drei Peitschenhiebe oder Rutenstreiche sind erlaubt,
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