Der Eunuch
seiner Schwester erwartet. Des rakoczyschen Reichtums wegen war ihr vom Kardinal das Kloster zugedacht gewesen. Sie aber hatte es vorgezogen, trotz aller kirchlichen Schikanen die Ehe mit dem Grafen Aspremont durchzusetzen. Ihren Bruder, den allgemein beliebten, schüchternen jungen Mann, der so erfreuend bigott war, hatte der Kardinal geglaubt, eher ins Kloster zu bekommen - das beste Geschäft, das die Kirche seit langem gemacht hätte. Aber dann war das Unerwartete geschehen: Fürst Rakoczy hatte sich in aller Stille nach Italien davongemacht, um dort in einem schöneren Klima seine jungen Jahre zu feiern, und statt dann wenigstens reuig zurückzukehren, um die ihm zugedachte Bestimmung zu erfüllen, hatte der verhinderte Mönch obendrein noch in Köln die Prinzessin Maria Amalia von Hessen-Rheinfels geheiratet! Ganz ohne jede Rückfrage war das geschehen ; aber von diesen Eigenwilligkeiten abgesehen, war der Fürst mit seinen achtzehn Jahren der österreichischen Monarchie genauso gefährlich gewesen wie das Kaninchen einem Fleischerhund.
Nicht einmal gegen seine Eigenmächtigkeit war vom Standpunkt des Rechts irgend etwas zu sagen gewesen, weil der Kaiser den Fürsten vorher für mündig erklärt hatte. Aber es gab Leute, die getäuschte Hoffnungen als schreiendes Unrecht empfinden, und zu diesen hatte der Kardinal Kolonicz gehört. Zu sicher hatte er sich schon des rakoczyschen Besitzes gefühlt, der nicht sein eigen gewesen war und dessen Herausgabe er dennoch verweigert hatte. Um Geld war der hohe Kirchenfürst zu jeder Eheanfechtung, zu jedem Prozeß, kurz zu allem bereit gewesen.
Das alles hatte nicht verhindern können, daß der junge Ehemann mit seiner nicht älteren Eheliebsten auf seine oberungarischen Güter gegangen war, um dort in dem Zustand zu leben, der ihm stets als der erstrebenswerte erschien, nämlich dem der Ruhe. In einer Ehe geht es allerdings kaum je nach den Wünschen des Ehemannes, und auch diese war keine Ausnahme gewesen. Stürme hatte es gegeben, bis die beiden kindlichen Wesen sich inner- und außerhalb des Ehebettes aneinander gewöhnt hatten.
Das Wohlwollen eines Kaisers, der — etwas weitsichtiger oder auch uneigennütziger als seine Minister - sich des jungen Mannes mit dem großen Namen als Brücke zur ungarischen Nation hatte versichern wollen, hätte dem „Franzl“ wohl das geruhsame Leben verschaffen können, zu dem ihn seine Neigungen hingezogen hatten. Aber kaiserliches Wohlwollen konnte wohl viel bedeuten, gegen ministerielles Mißtrauen war es vertan . . . wenn ein so ungeheuerlicher Besitz im Spiel war. Das Vermögen der Rakoczy! - ein Märchen war das. Kein Wunder, daß Kardinal Kolonicz es für die Kirche hatte haben wollen. Aber zu groß war dieses Vermögen gewesen, nicht einmal der Kirche Magen ließ man den Brocken verdauen. Da es Politik war, wegen Hochverrats eingezogene Güter ungarischer Patrioten zu verschenken, so hatten bereits Dutzende von andern hochgeborenen Leichenfledderern auf die verheißungsvolle Beute gelauert. Der Unterschied war gering. Die Kirche hielt in solchen Fällen Klosterkerker bereit, während die Staatsgewaltigen einen Prozeß und das Beil des Henkers benötigten. Unter solchen Umständen konnte selbst größtes kaiserliches Wohlwollen das beflissene Mißtrauen der Wölfe nicht beseitigen, was auch unbillig gegen die armen Wölfe gewesen wäre. Die Mast an den tausend Wunden des armen Ungarn schlug diesen Kreisen für Thron und Altar so schön an! Jedenfalls hatte der Sieg über Kolonicz dem jungen Franz Rakoczy nur eine Atempause verschafft. Der große Wolf war aus dem Feld geschlagen worden, die andern waren geblieben. Nicht einmal der Antrag, seine ungarischen Güter, um jeden Verdacht einer österreichfeindlichen Gesinnung zu zerstreuen, gegen einen ähnlichen Besitz im Reich zu tauschen, hatte ihm genützt. Seiner Güter hatte man sich, auch ohne sie erst erwerben zu müssen, sicher geglaubt. Gründe für eine Anklage würden sich schon finden.
Und sie hatten sich gefunden, worauf der junge Mann sich nicht länger hatte dagegen wehren können, den Weg des Schulbücher-Ruhmes und eines nationalen Helden zu beschreiten.
Der Inhalt von Rakoczys Korrespondenz mit Ludwig XIV. von Frankreich wurde bekannt. Der Wiener Hof, der damit seine Anklage wegen Hochverrats begründet hatte, weigerte sich auch später stets, die Briefe zu veröffentlichen. Einziger Zeuge im Prozeß war jener Belgier gewesen, dem es als österreichischen
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