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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Offizier gelungen war, die Freundschaft des Fürsten zu gewinnen, um dann dessen Briefe dem Reichsratspräsidenten Öttingen submissest auszuliefern. Dies, sowie die Baronie, in Verbindung mit einem der rakoczyschen Güter für den Provokateur und Spion, ließen mehr als nur vermuten, daß die Anklage nicht aufrecht zu erhalten gewesen wäre, weswegen die kaiserliche Regierung von ordentlichen Gerichten nichts hatte wissen wollen. Als Fürst des römischen Reiches und als ungarischer Magnat hätte Rakoczy nur von Standesgleichen gerichtet werden dürfen. Da das aber zu einem Freispruch geführt hätte, war von der Regierung eines jener beliebten Mord- und Sondergerichte vorgezogen worden, das dann auch in diesem Fall den Hof prompt mit einem Todesurteil bedient hatte .. allerdings in Abwesenheit der Hauptperson.
    Im gleichen Zimmer, das Rakoczys Großvater, Graf Zriny, nur verlassen hatte, um das Schafott zu besteigen, war auch der Enkel festgesetzt worden. Aber der jugendlichen Maria Amalia erwachtes Wohlwollen für ihren Mann war zu jedem Opfer bereit gewesen, nur nicht zu dem, ihm in die Freiheit zu folgen. Sie hatte ihn befreit. Dafür war Hauptmann Lehmann, Kommandeur des Dragonerpikets, das den Fürsten hatte bewachen sollen, zur Feier des Heiligen Abends 1701 gevierteilt worden. Das wiederum wäre Rakoczy nie passiert. Aber ein Fürst und ein bürgerlicher Hauptmann . . .? Leuten von Ordnung und Staatsuntertänigkeit war allerdings das Bedenken gekommen, wie die gebotenen Verschärfungen für einen Mann aus dem Volk noch ersonnen werden könnten, wenn die Gerechtigkeit bereits bei einem Offizier ihre heilsamen Trümpfe derart verausgabe. Einige der am besten Bewanderten hatten sich schließlich für die Lösung entschieden, im Kreis und bei zweckentsprechendem Abstand um den Verurteilten eine Feuerwand zu entfachen, um ihn auf diese Weise langsam zu Tode zu braten. In den nordamerikanischen Kolonien habe dieses Verfahren der dortigen Pflanzer bei ihren Niggern gute Erfolge gezeitigt.
    Dies alles und das Wutgeschnaube über Rakoczys Entkommen, mit dem es dem Wiener Hof gelungen war, sich nachträglich noch lächerlich zu machen, hätten am Gang der Ereignisse kaum etwas ändern können.
    Spanien hatte sich mit seinem zweiten Habsburger Karl eines Königs erfreut, der in vollkommenster Weise allen geistlichen, weniger jedoch geistigen Ansprüchen entsprochen hatte. Trotzdem war die Majestät für viele Völker ein Unruheherd gewesen, da alles auf sein Ableben und damit auf die große Rauferei um den Nachlaß gewartet hatte. Die Rauferei war denn auch erfolgt. Als Spanischer Erbfolgekrieg hatte sie inzwischen ein hübsches Etikett erhalten, auf daß man die unabsehbare Vielfalt von Greueln nicht mehr sehe.
    Es lag auf der Hand, wie sehr dieser Krieg, in den vor allen andern der Kaiser und Ludwig XIV. verwickelt gewesen waren, den Ungarn für einen neuen Aufstand gegen die österreichischen Unterdrücker gelegen gekommen war. Dieser Aufstand hatte wie sein Vorgänger als Bauernaufstand begonnen; aber die Bauern hatten die Ursachen des Zusammenbruchs der letzten Erhebung nicht in ihrem mangelhaften Zusammenschluß, sondern in der fehlenden adeligen Führung erblickt, und um diesen vermeintlichen Fehler nicht zu wiederholen, sich an den Träger des glanzvollsten ungarischen Namens gewandt: an Rakoczy. Natürlich war damit der Krieg für die Bauern bereits verloren gewesen, als er begonnen hatte. Ein siegreicher Adel hätte den Sinn seines Sieges wohl kaum darin erblickt, die Leibeigenen zu befreien und dem Volke ein menschenwürdiges Los zu verschaffen. Der Wille des einzelnen hatte auch damals nichts zu sagen gehabt. Als Rakoczy 1703 mit siebenundzwanzig Jahren an die Spitze des Bauernkrieges getreten war, war aus dem Bauernkrieg ein Adelskrieg geworden. Anders hätte es sich Seine Hoheit auch gar nicht vorzustellen vermocht.
    Allerdings war auch der Adel unterdrückt worden, in seinen Reihen hatte das Schwert des Henkers gewütet, und der blutig geraubte Besitz war an Ausländer, vornehmlich Deutsche, verschleudert worden; aber der Fürst oder vielmehr Paul Rhaday, sein späterer Kanzler, hatte im ersten fürstlichen Manifest aus Rhadays Feder klugerweise die Leiden des Volkes nicht vergessen. Sie waren trotz allem größer gewesen, als die des steuerfreien Adels.
    ,Wir sprechen mit tiefster Trauer“, hieß es in der immer noch berühmten europäischen Schrift, ,von den Leiden des armen Landvolkes, das, von allen

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