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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Mitteln zur Entrichtung der unerschwinglichen Abgaben entblößt, zu Maßnahmen greift, wie sie nur die größte Verzweiflung einzugeben vermag. Was früher nie vorkam — heute geschieht es. Viele machen ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende - andere suchen in der türkischen Sklaverei ein menschenwürdiges Dasein. Um sich und die Seinen vor den viehischen Greueln militärischer Steuereintreiber zu retten, verkauft der eine sein Weib, ein anderer seine Kinder den Türken, wo sie vor dem Zugriff einer entmenschten Soldateska in Sicherheit sind. Oh, welch’ harte, einer ehemals freien, christlichen Nation unerträgliche Sklaverei! Das unglückselige Landvolk sagt es laut, daß es sich nach der milden Herrschaft des Halbmondes zurücksehnt. Unwiderleglich ist es nachgewiesen, daß von den Türken in fünfzig Jahren nicht so viel erhoben wurde, wie vom Kaiser, dem Haupt der Christenheit, in fünfzig Wochen von den Ärmsten der Armen erpreßt wurde.“ Des langen Manifestes Schluß war gewesen:
    ,Abkömmling freier Fürsten, haben Wir im Lande ein zurückgezogenes Leben geführt und nur oft tränenden Auges den Verfall des
    Vaterlandes betrachtet. Auf Unser schuldfreies Gewissen gestützt, haben Wir nie an eine Uns drohende persönliche Gefahr gedacht, als plötzlich der Wiener Hofrat den Entschluß faßte, sich aller Großen Ungarns zu entledigen, und Wir infolgedessen gegen Recht und Gesetz ohne Verhör ergriffen und in ein elendes Gefängnis geworfen wurden. Der Himmel, auf den Wir vertrauen, wird für Uns kämpfen. Er wird einer tiefbetrübten Nation ihre unvermeidlichen Fehltritte nicht zu hoch anrechnen und ihre heilige Sadie in den Hafen ihres alten Glückes gelangen lassen. - Gegeben in Unserem Lager bei Unserer Festung Munkacz, den siebenten Juni 1703: Franz, von Gottes Gnaden Fürst Rakoczy von Felsövadaß, Obergespan von Saros, Herzog von Munkacz und Nakovicz, Erbherr von Sarospatak, Tokay, Negecz etc.‘
    Die Kämpfe waren für Österreich durchaus nicht rühmlich verlaufen. Während der ersten fünf Kriegsjahre hatte Wien immer wieder Versöhnungsversuche gemacht, die aber alle daran gescheitert waren, daß es Rakoczy und seine Ungarn nicht - wie es seitens anderer Staaten geschah - als kriegführende Macht hatte anerkennen wollen. Es hatte, anstatt einen regelrechten Friedensvertrag anzubieten, nur wenig glaubhafte Versprechungen gemacht. Immer neue Emissäre, auch Damen, waren bei Rakoczy erschienen, bis auf Veranlassung des Wiener Kabinetts während des Waffenstillstandes von 1706 die Fürstin selbst ihren Gatten aufgesucht hatte.
    Deutsche und Ungarn hatten sie mit Ehren überhäuft. Ihre karmoisinrot ausgeschlagene Galakutsche war von zwei Schwadronen kaiserlicher Dragoner eskortiert worden. Das Gefährt war ein Geschenk des Kaisers gewesen und hatte zwölftausend Gulden gekostet - zweitausend mehr als der für den Kopf des Gatten ausgelobte Preis. Bereits an den Toren aller österreichischen Städte hatten die Stadtkommandanten die hohe Dame empfangen, um sie dann mit Ehrenbanketten zu bewirten. In Poszony hatte sie die Stadt morgens durch das Osttor verlassen, wo sie unter des fürstlichen Generals Ocskays Befehl von achthundert Rakoczy-Husaren in Empfang genommen worden war. Das war der Beginn eines Triumphzuges ohnegleichen durch die Länder gewesen, die sich in der Gewalt ihres Mannes befunden hatten. Vor gesenkten Fahnen, unter dem Hurrageschrei der Menge, dem Geläut der Glocken und dem Salutkrachen der Kanonen war die Wiedervereinigung der beiden Gatten erfolgt. Den brünetten Offizier zur Seite der Kutsche hatte die Fürstin nach den fünf Jahren zwischen Abschied und Wiedersehen freilich erst erkannt, als er den kurzen Pelzmantel mit dem purpurnen vertauscht und den diamantenbesetzten Reiher-Kalpak aufgesetzt hatte. Ob und wie es von Maria Amalia versucht worden war, ihren Franz für Österreich zu gewinnen, darüber wurde nichts Zuverlässiges bekannt. Gewisser war es schon, daß die Kriegsjahre die von Anbeginn nicht sehr starken menschlichen Bindungen zwischen den Gatten noch mehr gelockert hatten. Jedenfalls war die Fürstin noch keine drei Wochen bei ihrem Mann gewesen, als sie schon nach Wien geschrieben hatte, daß ihr Gesundheitszustand dringend einer Kur in Karlsbad bedürfe. Aber eine Weile hatte sie noch bleiben müssen. Ihre Anwesenheit war zur Überwindung von Etikettenschwierigkeiten zu nützlich gewesen, um auf sie zu verzichten. Bei ihr hatten sich Rakoczy, dessen ungarische

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