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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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wissen vermutlich, dass er bei der Ankunft in London alle Hilfsangebote mit der Begründung ausgeschlagen hat, er wolle die Sache lieber allein durchstehen und so weiter. Immerhin hat er mit der Personalchefin gesprochen und sich am selben Tag mit Pellegrin zum Essen getroffen. Beide schildern ihn als erschöpft, missmutig und feindselig. Armer Kerl. Man hat ihm eine Zuflucht und psychologische Beratung angeboten, aber er hat beides abgelehnt. Inzwischen ist er untergetaucht.«
    Jetzt war es Donohue, den Woodrow diskret beobachtete, nicht mehr Ghita. Woodrows Blick war natürlich mit Bedacht auf keinen der beiden gerichtet, sondern wanderte allem Anschein nach zwischen einem Punkt über den Köpfen seiner Zuhörer und den Notizen auf seinem Schreibtisch hin und her. In Wirklichkeit aber ließ er Donohue nicht aus den Augen und kam immer mehr zu der Überzeugung, dass Donohue und seine knochige Sheila wieder einmal längst Bescheid wussten.
    »Noch am Tag seiner Ankunft in Großbritannien – genauer gesagt, am Abend seiner Ankunft – hat Justin der Leiterin der Personalabteilung einen ziemlich hinterhältigen Brief geschickt, in dem er ihr mitteilt, er nehme Urlaub, um die Angelegenheiten seiner Frau zu regeln. Er hat die normale Post benutzt und sich damit praktisch drei Tage Vorsprung verschafft. Als die Personalabteilung sich in Bewegung setzte, um ihn zurückzuhalten – nur zu seinem Besten, möchte ich hinzufügen –, war er längst von der Bildfläche verschwunden. Es gibt Hinweise darauf, dass er beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, seine Spur zu verwischen. Bis nach Elba, wo Tessa ein Haus besaß, hat man ihm folgen können, aber als das Ministerium die Fährte aufgenommen hatte, war er schon wieder abgereist. Wohin, weiß der Himmel, es gibt allerdings Vermutungen. Er hatte natürlich keinen förmlichen Urlaubsantrag gestellt, und das Ministerium seinerseits hatte noch nicht entschieden, wie es ihm am besten wieder auf die Beine helfen sollte – einen Ort für ihn finden, an dem er für ein, zwei Jahre seine Wunden lecken konnte.« Ein Achselzucken, um anzudeuten, wie wenig Dankbarkeit es auf der Welt gab. »Nun, was auch immer er tut, er tut es allein. Und ganz bestimmt tut er es nicht für uns.«
    Woodrow warf einen grimmigen Blick ins Publikum und wandte sich dann wieder seinen Notizen zu.
    »Die Angelegenheit hat einen Sicherheitsaspekt, zu dem ich Ihnen selbstverständlich nichts sagen darf; jedenfalls fragt sich das Ministerium deshalb doppelt beunruhigt, wo und wie er das nächste Mal auftauchen wird. Man macht sich auch aufrichtig Sorgen um ihn, wie wir alle, nehme ich an. Solange er hier war, hat er sehr viel Haltung und Selbstbeherrschung gezeigt, aber jetzt scheint es ihn gänzlich aus der Bahn geworfen zu haben.« Nun kam der schwierige Teil, aber sie waren gewappnet. »Die Experten liefern uns verschiedene Interpretationen, die von unserem Standpunkt aus allesamt wenig erfreulich sind.«
    Der Generalssohn marschiert tapfer weiter.
    »Glaubt man den klugen Leuten, die in solchen Fällen aus den Eingeweiden lesen, besteht unter anderem die Möglichkeit, dass Justin sich in einem Zustand der Verdrängung befindet – soll heißen, er weigert sich zu akzeptieren, dass seine Frau tot ist, und hat sich auf die Suche nach ihr gemacht. Das tut sehr weh, aber es geht hier um die Logik eines vorübergehend gestörten Denkens. Jedenfalls hoffen wir, dass es vorübergehend ist. Eine weitere, gleichermaßen wahrscheinliche oder unwahrscheinliche Theorie besagt, er hat einen Rachefeldzug angetreten und sucht jetzt nach Bluhm. Anscheinend hat Pellegrin, natürlich in bester Absicht, durchblicken lassen, Bluhm stehe im Verdacht, Tessa ermordet zu haben. Möglich, dass Justin daraufhin die Initiative ergriffen hat. Traurig. Wirklich sehr traurig.«
    Für einige Sekunden wurde Woodrow in seiner stets schwankenden Vorstellung von sich selbst zur Verkörperung dieser Trauer. Er war das anständige Gesicht einer fürsorglichen britischen Beamtenschaft. Er war der römische Preisrichter, der langsam urteilte und noch langsamer verdammte. Er war ein Mann von Welt, der nicht vor harten Entscheidungen zurückschreckte, aber entschlossen war, sich von seinen besten Instinkten leiten zu lassen. Beflügelt von seiner exzellenten Darbietung, glaubte er improvisieren zu können.
    »Es scheint, dass Menschen in Justins Zustand häufig Pläne verfolgen, deren sie sich selbst gar nicht bewusst sind. Sie haben auf

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