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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Autopilot gestellt und warten auf einen Vorwand, um tun zu können, was sie unbewusst ohnehin vorhaben. Ähnlich wie Selbstmörder. Jemand sagt etwas im Scherz – und peng, kommt die Lawine ins Rollen.«
    Redete er zu viel? Zu wenig? Kam er vom Thema ab? Ghita starrte ihn an wie eine zornige Prophetin, und in Donohues gelblichen Augen glomm etwas, das Woodrow nicht zu deuten vermochte. Verachtung? Wut? Oder war es nur wieder dieses ewige Getue, als habe er ganz andere Ziele, komme von anderswo her und kehre auch wieder dorthin zurück?
    »Aber die plausibelste Erklärung für das, was sich zur Zeit in Justins Kopf abspielt – die Annahme, die am besten zu den bekannten Tatsachen passt und, wie ich Ihnen sagen muss, von unseren Psychologen bevorzugt wird –, ist leider die, dass Justin sich eine Verschwörungstheorie zurechtgebastelt hat, und das wäre dann in der Tat sehr bedenklich. Wer die Realität nicht bewältigen kann, phantasiert sich eine Verschwörung zusammen. Wer nicht akzeptieren kann, dass seine Mutter an Krebs gestorben ist, klagt den Arzt an, der sie behandelt hat. Und die Chirurgen. Und die Anästhesisten. Und die Krankenschwestern. Die natürlich alle unter einer Decke gesteckt haben. Und sich kollektiv verschworen haben, die Frau zu beseitigen. Genau diesem Wahn scheint Justin im Falle von Tessas Ermordung verfallen zu sein. Tessa wurde nicht einfach vergewaltigt und ermordet. Tessa ist das Opfer einer internationalen Intrige. Sie ist nicht gestorben, weil sie jung und attraktiv war und entsetzliches Pech hatte, sondern weil sie ihren Tod gewünscht haben. Wer sie sind – diese Frage zu beantworten, bleibt jedem selbst überlassen. Es kann der Gemüsehändler an der Ecke sein oder die Frau von der Heilsarmee, die neulich geklingelt hat, um Ihnen ihre Zeitschrift anzudrehen. Alle sind daran beteiligt. Alle haben sich verschworen, Tessa umzubringen.«
    Verlegenes Lachen. Hatte er zu dick aufgetragen, oder konnten sie ihm folgen? Reiß dich zusammen. Du wirst zu weitschweifig.
    »Oder in Justins Fall sind es vielleicht Mois Leute und das Großkapital und das Außenministerium und wir alle hier in diesem Raum. Wir alle sind Feinde. Wir alle sind Verschwörer. Und Justin ist der Einzige, der das weiß; auch dies gehört zu seinem Wahn. In Justins Augen ist nicht Tessa das Opfer, sondern er selbst. Versetzen wir uns in ihn hinein. Wer die Feinde sind, hängt davon ab, wem jemand als letzter zugehört hat, welche Bücher und Zeitungen er in letzter Zeit gelesen, welche Filme er gesehen hat und wo er gerade in seinem Biorhythmus ist. Übrigens heißt es, dass Justin jetzt übermäßig trinkt, was er hier, soweit ich weiß, nicht getan hat. Pellegrin sagt, das Essen für sie beide in seinem Club habe ihn ein ganzes Monatsgehalt gekostet.«
    Wieder dieses nervöse Lachen, in das so ziemlich alle außer Ghita einstimmten. Er glitt weiter, wie auf Schlittschuhen, staunte selbst über seine Beinarbeit, schnitt Figuren ins Eis, im Kreis herum und geradeaus. Das ist das, was du an mir am meisten verabscheut hast, sagt er atemlos zu Tessa, als er nach einer Pirouette wieder zu ihr aufschließt. Das ist die Stimme , die England zugrunde gerichtet hat , hast du beim Tanzen im Scherz zu mir gesagt. Das ist die Stimme , die tausend Schiffe versenkt hat , und es waren alles unsere Schiffe . Sehr komisch. Dann hör dieser Stimme jetzt einmal zu, Mädchen. Hör zu, wie kunstvoll sie den guten Ruf deines ehemaligen Mannes zerstört, dank Pellegrin und meinen fünf hirnerweichenden Jahren in der stets wahrhaftigen Informationsabteilung des Außenministeriums.
    Eine Woge des Ekels erfasste ihn, als er für einen Augenblick nur noch Hass empfand gegenüber all den gefühllosen Teilen seines widersprüchlichen Wesens. Es war dieser Ekel, der ihn dazu hätte bringen können, unter dem Vorwand eines dringenden Telefonats oder eines menschlichen Bedürfnisses aus dem Raum zu rennen, um vor sich selbst zu fliehen; oder an den Schreibtisch zu stürzen, die Schublade aufzureißen, ein Blatt des amtlichen blauen Briefpapiers herauszunehmen und die Leere in sich selbst mit Loyalitätsadressen und Beteuerungen seiner Skrupellosigkeit auszufüllen. Wer hat mir das angetan?, fragte er sich, während er weiterredete. Wer hat mich zu dem gemacht, der ich bin? England? Mein Vater? Die Schule? Meine jämmerliche, verängstigte Mutter? Oder die siebzehn Jahre, die ich für mein Land gelogen habe? » Irgendwann kommen wir alle in ein Alter

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