Der ewige Gaertner
außen ist er immer noch der Mensch, den wir alle kennen und lieben. Gepflegt, sorgfältig gekleidet, gut aussehend und ungeheuer höflich. Bis er plötzlich losschreit, eine internationale Verschwörung habe sein Kind und seine Frau ermordet.« Pause. Eine persönliche Anmerkung – Gott, über welchen Reichtum dieser Mann verfügt! »Es ist eine Tragödie. Es ist schlimmer als eine Tragödie. Ich nehme an, wir alle, die wir ihm nahe gestanden haben, empfinden so. Aber genau aus diesem Grund bin ich gezwungen, Alarm zu schlagen. Keine Gefühle , bitte. Wenn der Holländer Ihnen über den Weg läuft, müssen wir das sofort erfahren. Verstanden? Danke. Gibt’s noch was anderes, wo wir schon mal alle hier sind? Ja? Ghita.«
***
Woodrow hatte oftmals Schwierigkeiten, Ghitas Gefühle richtig zu deuten, aber diesmal war er der Wahrheit ausnahmsweise einmal näher, als er selbst ahnte. Sie stand auf, während alle anderen, einschließlich Woodrow, sitzen blieben. Soviel war ihr klar. Sie stand auf, um gesehen zu werden. Vor allem aber stand sie auf, weil sie in ihrem ganzen Leben noch nie einen solchen Haufen mieser Lügen gehört hatte, und weil sie nicht gewillt war, das einfach so im Sitzen hinzunehmen. Da stand sie nun also, empört, aufgebracht, und schickte sich an, Woodrow ins Gesicht zu sagen, was für ein Lügner er sei. Auch weil sie in ihrem kurzen, verwirrenden Leben noch keine besseren Menschen als Tessa, Arnold und Justin kennen gelernt hatte.
Das alles war Ghita bewusst. Doch als sie den Blick – über den Militärattaché, den Handelsattaché und Mildren, den Privatsekretär des Hochkommissars, über all die ihr zugewandten, strengen Köpfe hinweg – direkt auf die verlogenen, schmeichlerischen Augen Sandy Woodrows richtete, erkannte sie, dass sie einen anderen Weg finden musste.
Tessas Weg. Nicht aus Feigheit, sondern aus taktischen Gründen.
Woodrow ins Gesicht zu sagen, was für ein Lügner er war, würde ihr zu einem kurzen, zweifelhaften Triumph verhelfen, und dann würde man sie entlassen. Und was konnte sie schon beweisen? Nichts. Seine Lügen waren keine reine Erfindung. Sie waren eine großartig konstruierte Verzerrungslinse, die Tatsachen zu Ungeheuern machte und sie dabei immer noch wie Tatsachen aussehen ließ.
»Ja, Ghita?«
Woodrow hatte den Kopf zurückgelegt, die Augenbrauen hochgezogen und den Mund halb geöffnet wie ein Chorleiter, als wollte er mit ihr mitsingen. Sie wandte rasch den Blick von ihm ab. Bei dem alten Donohue verlaufen alle Linien im Gesicht von oben nach unten, dachte sie. Der Hund von Schwester Marie im Kloster hat genauso ausgesehen. Die Backen eines Bluthunds heißen Lefzen, hat Justin mir erklärt. Gestern Abend habe ich mit Sheila Badminton gespielt, und sie sieht mich auch so an. Ghita war selbst erstaunt, als sie sich plötzlich zu den Versammelten sprechen hörte.
»Vielleicht ist es kein guter Zeitpunkt, das jetzt vorzuschlagen, Sandy. Vielleicht sollte ich damit noch ein paar Tage warten«, fing sie an. »Wo gerade so viel passiert.«
» Womit warten? Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Ghita.«
»Uns liegt da eine Anfrage vom Welternährungsprogramm vor, Sandy. Man drängt energisch darauf, dass wir zum nächsten Treffen der Schwerpunktgruppe Hilfe zur Selbsthilfe einen Vertreter von EADEC schicken.«
Das war gelogen. Eine brauchbare, effektive, akzeptable Lüge. Mit erstaunlicher Hinterlist hatte sie aus ihrem Gedächtnis eine alte Anfrage ausgegraben und so aufpoliert, dass sie sich wie eine dringende Einladung anhörte. Sie hatte jedoch nicht die leiseste Ahnung, was sie tun sollte, falls Woodrow sie jetzt aufforderte, ihm das Schreiben zu zeigen. Aber er tat es nicht.
»Hilfe zu was , Ghita?«, fragte Woodrow, und die anderen lachten befreit auf.
»Man spricht in diesem Zusammenhang auch von nachhaltiger Hilfe, Sandy«, beschied Ghita ihn streng mit einem Modeausdruck, der ebenfalls aus dem Rundschreiben stammte. »Wie lernt eine Gemeinschaft, die massiv mit Nahrungsmitteln und Medikamenten unterstützt wurde, sich selbst zu erhalten, nachdem sich die Hilfsorganisationen zurückgezogen haben? Darum geht es hier. Welche Vorkehrungen müssen von den Gebern getroffen werden, um sicherzustellen, dass logistische Einrichtungen bestehen bleiben und keine unerwünschten Mangelsituationen eintreten? Solchen Fragen wird große Bedeutung beigemessen.«
»Nun, das klingt ja auch recht vernünftig. Wie lange soll das Palaver dauern?«
»Drei volle
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