Der ewige Gaertner
eine politische Stellungnahme. Auch sehr polemisch, sehr religiös und geradezu vernichtend, was Lorbeer betrifft. ›Dann ist es von ihm‹, erwiderte sie. ›Markus geißelt sich selbst. Das tut er oft.‹«
»Haben Sie Lara Emrich mal getroffen? Kennen Sie sie persönlich?«
»Nein, nur wie Tessa. Per E-Mail. Wir sind E-Mail-Freundinnen. In dem Aufsatz stand, dass Lorbeer sechs Jahre in Russland war, zwei Jahre unter dem alten kommunistischen Regime, vier Jahre in dem neuen Chaos. Ich erzähle das Lara, aber sie weiß es bereits. Dem Aufsatz zufolge war Lorbeer damals als Vertreter westlicher Pharmakonzerne im Land, hat Funktionäre des russischen Gesundheitswesens bearbeitet und ihnen westliche Medikamente verkauft, erzähle ich ihr. In den sechs Jahren hat er es anscheinend mit acht verschiedenen Gesundheitsministern zu tun gehabt. In dem Zusammenhang wird ein Ausspruch aus dieser Zeit zitiert, und als ich Lara davon erzählen will, unterbricht sie mich und sagt mir, wie er lautet, wörtlich so, wie er in dem Aufsatz steht. ›Die russischen Gesundheitsminister kamen in einem Lada und fuhren in einem Mercedes wieder fort.‹ Das ist ein Lieblingswitz von Lorbeer, sagt sie. Jetzt sind wir beide davon überzeugt, dass er der Verfasser des Dokuments ist. Es ist sein masochistisches Geständnis. Von Lara erfahre ich auch, dass Lorbeers Vater ein deutscher Lutheraner war, sehr calvinistisch, sehr streng – das erklärt wohl die morbiden religiösen Vorstellungen seines Sohnes und dessen Bedürfnis, seine Sünden zu beichten. Haben Sie Ahnung von Medizin? Von Chemie? Oder von Biologie?«
»Für dergleichen war meine Ausbildung ein wenig zu teuer, fürchte ich.«
»In seinem Geständnis behauptet Lorbeer, als Vertreter von KVH habe er mittels Schmeichelei und Bestechung die Zulassung für Dypraxa erhalten. Er beschreibt, wie er Funktionäre kauft, klinische Tests beschleunigt, Eintragung und Importlizenzen für Medikamente beschafft und dabei jedem einzelnen Bürokraten in der Nahrungskette etwas zukommen lässt. In Moskau habe man für fünfundzwanzigtausend Dollar eine positive Beurteilung führender medizinischer Experten erwerben können, schreibt er. Das Problem sei nur, dass man, wenn man einen besteche, auch die anderen, die man nicht brauche, bestechen müsse, weil die sonst, aus Neid oder Verstimmung, das betreffende Medikament heftig kritisieren würden. In Polen sei es kaum anders, aber nicht so teuer. In Deutschland laufe die Einflussnahme subtiler ab, aber auch nicht gerade sehr subtil. Lorbeer schildert, wie er einmal einen Jumbojet für KVH charterte und achtzig prominente deutsche Ärzte zu einer Bildungsreise nach Thailand fliegen ließ.« Sie lächelte, während sie das erzählte. »Der Bildungsteil wurde während des Fluges absolviert, und zwar in Form von Filmen und Vorträgen, aber auch in Form von Beluga-Kaviar und sehr alten Cognacs und Whiskys. Alles musste von der besten Qualität sein, schreibt er, weil die braven deutschen Ärzte schon in früher Jugend verdorben worden seien. Mit Champagner gäben sie sich längst nicht mehr zufrieden. In Thailand konnten die Ärzte dann machen, was sie wollten, aber auf Wunsch wurden ihnen zwecks Entspannung auch attraktive Partnerinnen zur Verfügung gestellt. Lorbeer organisierte persönlich einen Hubschrauber, der über einem bestimmten Strand, auf dem die Ärzte sich mit ihren Partnerinnen amüsierten, Orchideen abwarf. Auf dem Rückflug waren keine weiteren Vorträge mehr nötig. Die Ärzte hatten ihre Lektion gelernt. Sie wussten jetzt, wie sie ihre Rezepte auszustellen und ihre wissenschaftlichen Artikel zu schreiben hatten.«
Sie lachte zwar, aber die Geschichte machte ihr so zu schaffen, dass sie glaubte, den entstandenen Eindruck korrigieren zu müssen.
»Das bedeutet aber nicht, dass Dypraxa ein schlechtes Medikament ist, Justin. Dypraxa ist ein hervorragendes Medikament, dessen Testphase noch nicht abgeschlossen ist. Nicht alle Ärzte lassen sich verführen, nicht alle Pharmaunternehmen sind so leichtfertig und gierig.«
Sie spürte, dass sie zu viel redete, und unterbrach sich, aber Justin machte keinen Versuch, sie zu bremsen.
»Die moderne pharmazeutische Industrie ist gerade erst fünfundsechzig Jahre alt. Dort arbeiten fähige Männer und Frauen, sie hat menschliche und soziale Wunder vollbracht, nur hat sie noch kein kollektives Gewissen entwickelt. Lorbeer schreibt, die Pharmakonzerne hätten sich von Gott abgewandt. Er bringt
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