Der ewige Gaertner
Welt retten wird. Niemand spricht vom Götzen Profit, es sei denn im Zusammenhang mit Profit für die Menschheit. In die Leipziger Uniklinik werden viele aus Sibirien heimkehrende Russlanddeutsche eingeliefert. Sie haben Tbc. Tuberkulose war in den sowjetischen Gefangenenlagern weit verbreitet. Die Patienten sind arm und krank, sie können sich nicht wehren, die meisten haben multiresistente Stämme, viele sterben. Sie unterschreiben alles, sie lassen alles mit sich geschehen, sie machen keine Schwierigkeiten. So erklärt es sich, dass die beiden jungen Ärztinnen Bakterien isolieren und mit noch unerforschten Medikamenten gegen Tbc experimentieren konnten. Sie haben Testreihen an Tieren durchgeführt, vielleicht auch an Medizinstudenten und anderen Mitarbeitern. Medizinstudenten haben kein Geld. Eines Tages werden sie Ärzte sein, die Versuche interessieren sie. Und als Leiter des Forschungsteams haben wir einen Professor, der von diesen Experimenten begeistert ist. Das ganze Team sehnt sich nach seinem Lob, und so machen denn auch alle bei den Experimenten mit. Niemand ist böse, niemand ist kriminell. Es sind junge Träumer, die ein reizvolles Gebiet zu erforschen haben, und die Patienten sind verzweifelt. Warum nicht?«
»Warum nicht?«, murmelt Justin.
»Und die Kovacs hat einen Freund. Sie hat immer einen Freund. Viele Freunde. Dieser Freund ist Pole, ein guter Mensch. Verheiratet, aber egal. Ihm gehört jedenfalls ein Labor. Ein kleines, effizientes, sinnvoll eingerichtetes Labor in Danzig. Der Pole bietet der Kovacs aus Liebe zu ihr an, sie könne sein Labor jederzeit benutzen. Sie dürfe auch mitbringen, wen sie wolle. Also bringt sie ihre schöne Freundin und Kollegin Lara Emrich mit. Die Kovacs und die Emrich treiben ihre Forschungen voran, die Kovacs und der Pole treiben es im Bett, alle sind zufrieden, niemand spricht vom Götzen Profit. Diese jungen Leute haben nur Ruhm und Ehre und vielleicht ein bisschen Eigenwerbung im Sinn. Und ihre Untersuchungen führen zu positiven Ergebnissen. Patienten sterben immer noch, aber die wären sowieso gestorben. Andere, die sonst auch gestorben wären, können gerettet werden. Die Kovacs und Lara Emrich sind stolz. Sie schreiben Artikel für medizinische Fachzeitschriften. Ihr Professor schreibt Artikel, in denen er sie unterstützt. Andere Professoren unterstützen den Professor, alle sind zufrieden, jeder gratuliert seinem Nachbarn, es gibt keine Feinde. Noch nicht.«
Carl regt sich an ihrer Schulter. Sie tätschelt ihm den Rücken und bläst ihm sachte aufs Ohr. Er lächelt und schläft wieder ein.
»Auch Lara Emrich hat einen Liebhaber. Sie hat einen Mann, der Emrich heißt, aber der reicht ihr nicht. Ich rede von Osteuropa, da war jeder schon mal mit jedem verheiratet. Ihr Liebhaber heißt Markus Lorbeer. Er hat eine südafrikanische Geburtsurkunde, einen deutschen Vater und eine holländische Mutter. Er lebt in Moskau als selbstständiger Pharmavertreter, aber auch als – als Unternehmer, der interessante Entwicklungen auf dem Gebiet der Biotechnologie aufspürt und dann ausschlachtet.«
»Ein Talentsucher.«
»Er ist ungefähr fünfzehn Jahre älter als Lara, er ist mit allen Wassern gewaschen, wie wir sagen, er ist ein Träumer wie sie. Er liebt die Wissenschaft, ist aber kein Wissenschaftler geworden. Er liebt die Medizin, ist aber kein Arzt. Er liebt Gott und die ganze Welt, aber er liebt auch gutes Geld und den Götzen Profit. Er schreibt: ›Der junge Lorbeer ist gläubig, er verehrt den Gott der Christen, er verehrt Frauen, aber er verehrt auch sehr den Götzen Profit.‹ Das ist sein Sündenfall. Er glaubt an Gott, aber er ignoriert ihn. Ich persönlich lehne diese Haltung ab, aber was soll’s. Für einen Humanisten ist Gott ein Vorwand, sich nicht humanistisch zu verhalten. Im Leben nach dem Tode werden wir human sein, bis dahin machen wir Profit. Was soll’s. ›Lorbeer hat Gottes Geschenk der Erkenntnis angenommen‹ – ich nehme an, damit meint er das Molekül – ›und an den Teufel verkauft.‹ Damit meint er wohl KVH. Dann schreibt er, als Tessa ihn in der Wüste besucht habe, habe er ihr das ganze Ausmaß seiner Sünden gebeichtet.«
Justin richtet sich jählings auf.
»Das hat er geschrieben? Dass er Tessa davon erzählt hat? Wann? Im Krankenhaus? Wo hat sie ihn besucht? Was für eine Wüste? Was hat das alles zu bedeuten?«
»Wie gesagt, sein Aufsatz ist ziemlich verrückt. Er nennt sie bei ihrem Mädchennamen Abbott, wie ›der
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