Der ewige Gaertner
viele Anspielungen auf die Bibel, die ich nicht verstehe. Vielleicht, weil ich Gott nicht verstehe.«
Carl war auf der Schaukel eingeschlafen; Justin hob ihn vorsichtig heraus und ging mit ihm, eine Hand auf seinem warmen Rücken, auf dem Asphalt hin und her.
»Sie sprachen von Ihrem Telefonat mit Lara Emrich«, erinnerte Justin sie.
»Ja, aber ich bin absichtlich abgeschweift, weil es mir peinlich ist, wie dumm ich gewesen bin. Geht es, oder soll ich ihn nehmen?«
»Nicht nötig.«
Der weiße Mercedes hatte am Fuß des Hügels angehalten. Die beiden Männer saßen immer noch darin.
»Wir bei Hippo gehen seit Jahren davon aus, dass unsere Telefone abgehört werden. Wir sind sogar ein bisschen stolz darauf. Gelegentlich wird unsere Post kontrolliert. Wir schicken Briefe an uns selbst und stellen fest, dass sie verspätet und nicht in unberührtem Zustand bei uns eintreffen. Wir haben oft herumgesponnen, dass wir die Organy mit irreführenden Informationen füttern könnten.«
»Die was?«
»Das Wort stammt von Lara. Ein russischer Ausdruck aus sowjetischen Zeiten. Es bedeutet: die staatlichen Organe.«
»Das Wort muss ich mir unbedingt merken.«
»Also, vielleicht haben die Organy lachend und jubelnd am Telefon zugehört, als ich Lara versprach, ihr gleich eine Kopie des Aufsatzes nach Kanada zu schicken. Sie sagte, leider habe sie kein Faxgerät, denn sie habe ihr ganzes Geld für Anwälte ausgegeben und es sei ihr nicht mehr erlaubt, das Krankenhaus zu betreten. Hätte sie ein Fax gehabt, gäbe es heute vielleicht keine Probleme. Dann hätte sie jetzt eine Kopie von Lorbeers Geständnis, und es wäre egal, dass wir keine mehr haben. Alles wäre noch da. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Beweisen lässt sich gar nichts.«
»Und was ist mit E-Mail?«
»Hat sie auch nicht mehr. Einen Tag, nachdem sie versucht hatte, ihren Artikel zu veröffentlichen, hatte ihr Computer einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht wieder erholt hat.«
Birgit saß da, mit roten Wangen, stoisch in ihrem Kummer.
»Und nun?«, soufflierte Justin.
»Nun haben wir den Aufsatz nicht mehr. Er wurde zusammen mit dem Computer und den Akten und den Kassetten gestohlen. Als ich mit Lara telefonierte – ungefähr von siebzehn Uhr bis siebzehn Uhr fünfundvierzig deutscher Zeit –, war sie ganz aufgeregt, überglücklich. Ich auch. ›Warte, bis die Kovacs davon hört‹, sagte sie immer wieder. Jedenfalls haben wir lange miteinander gesprochen und gelacht, und dann dachte ich, morgen früh ist noch Zeit genug, Lorbeers Geständnis zu kopieren. Ich legte es in unseren Safe und schloss ihn ab. Der Safe ist nichts Besonderes, aber auch nicht eben schlecht. Die Einbrecher hatten einen Schlüssel. Als sie gingen, verriegelten sie nicht nur die Türen wieder, sondern sie schlossen auch den Safe ab, nachdem sie den Aufsatz herausgenommen hatten. Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das doch ganz offensichtlich. Sonst aber bemerkt man es erst gar nicht. Was macht ein Riese, wenn er einen Schlüssel braucht? Er lässt seine Zwerge herausfinden, um was für einen Safe es sich handelt, dann ruft er den Riesen an, der den Safe hergestellt hat, und bittet ihn, sich von seinen Zwergen einen Schlüssel machen zu lassen. In der Welt der Riesen ist so etwas normal.«
Der weiße Mercedes hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Vielleicht war auch das normal.
***
Sie haben eine Schutzhütte gefunden. Links und rechts von ihnen sind Reihen zusammengeklappter Liegestühle aneinander gekettet. Der Regen prasselt und klimpert auf das Blechdach und läuft in Bächen um ihre Füße herum. Carl ist wieder bei seiner Mutter. Er liegt schlafend an ihrer Brust, den Kopf an ihre Schulter geschmiegt. Sie hat einen kleinen Sonnenschirm aufgespannt und hält ihn über Carl. Justin sitzt mit etwas Abstand zu ihnen auf der Bank, vornübergebeugt, die Hände wie zum Gebet zwischen den Knien gefaltet. Das ist es, was mich an Garths Tod so geärgert hat, erinnert er sich. Durch ihn wurde mir meine Lebensbildung vorenthalten.
»Lorbeer hat einen Roman geschrieben«, sagt sie.
»Einen Roman?«
»Ja. Einen Roman, der gleich mit dem Happy End anfängt. Er handelt von zwei schönen jungen Ärztinnen, Emrich und Kovacs heißen sie und arbeiten als Assistentinnen an der Universität Leipzig. Zur Universität gehört ein großes Krankenhaus. Dort forschen sie unter Anleitung kluger Professoren und träumen davon, eines Tages eine großartige Entdeckung zu machen, die die
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