Der ewige Gaertner
Ahnung zu haben schien und doch bemüht war, sich seinen mutmaßlichen Erwartungen anzupassen. »Wenn ich ein eigenes Leben möchte, sage ich es dir schon«, versicherte sie ihm stets, wenn er sie – in einem Anfall von Schuldbewusstsein oder aus Langeweile – dazu drängte, noch einen akademischen Abschluss zu machen, Jura zu studieren oder Medizin – oder in Gottes Namen wenigstens irgendwas zu lesen. »Wenn du mich nicht so magst, wie ich bin … Das ist natürlich was anderes«, sagte sie dann, seiner konkreten Klage geschickt ins Grundsätzliche ausweichend. »Aber nein, nein, natürlich liebe ich dich so, wie du bist!«, pflegte er zu protestieren und sie gleich darauf leidenschaftlich in die Arme zu nehmen. Und mehr oder weniger glaubte er das auch.
Justin wurde an demselben schwarzen Montag zum geheimen Gefangenen im Untergeschoss, an dem ihm die Nachricht von Tessas Tod überbracht worden war, und zwar zu der Stunde, da die Limousinen auf den Zufahrten der Botschaften ungeduldig zu brummen beginnen, begierig, die Eisentore zu durchbrechen und der nach unerfindlichen Regeln erwählten Tränke des Abends zuzustreben. Ist heute Lumumba-Tag? Merdeka-Tag? Der französische Nationalfeiertag? Egal: Die Landesflagge weht im Garten, die Sprinkler sind abgestellt, der rote Teppich ist ausgerollt, schwarze Diener mit weißen Handschuhen schweben umher, genau wie zu Kolonialzeiten, was wir alle scheinheilig verleugnen. Und im Festzelt des Gastgebers erklingt angemessen patriotische Musik.
Woodrow saß neben Justin in dem schwarzen VW-Transporter. Von der Leichenhalle hatte er ihn zum Polizeipräsidium begleitet und zugesehen, wie Justin in seiner makellosen akademischen Handschrift eine Erklärung über die Identifizierung der Leiche seiner Frau aufsetzte. Woodrow hatte Gloria von der Polizei aus angerufen, um ihr mitzuteilen, dass er, sofern der Verkehr es zuließ, in fünfzehn Minuten mit ihrem ganz besonderen Gast eintreffen werde – »und es darf nicht bekannt werden, wo er ist, Darling, wir müssen alles dafür tun, dass er in Deckung bleiben kann«. Was Gloria allerdings nicht davon abgehalten hatte, noch schnell bei Elena anzurufen, obwohl sie mehrmals wählen musste, bis sie durchkam. Sie wollte rasch das Menü fürs Abendessen besprechen – aß der arme Justin gern Fisch oder verabscheute er ihn? Sie wusste es nicht mehr, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass er in diesen Fragen etwas heikel war – und mein Gott, Elena, worüber unterhalte ich mich um Himmels willen mit ihm, wenn Sandy ins Büro muss und ich über Stunden alleine bin mit dem armen Mann? Ich meine, alle richtigen Themen sind doch tabu.
»Dir fällt schon was ein, keine Sorge, Darling«, versicherte Elena, und es klang nicht uneingeschränkt freundlich.
Trotz der Eile fand Gloria noch Zeit, Elena einen kurzen Überblick zu verschaffen über die absolut grauenhaften Anrufe der Presse, die sie entgegengenommen hatte. Andere hatte sie gar nicht erst angenommen, sondern sie hatte Juma, ihren Wakamba-Hausdiener, ausrichten lassen, dass Mr und Mrs Woodrow im Augenblick nicht zu sprechen seien – nur war da noch dieser schrecklich gewandte junge Mann vom Telegraph gewesen, mit dem sie sich liebend gern unterhalten hätte, aber Sandy hatte nein gesagt, unter Androhung der Todesstrafe.
»Vielleicht schreibt er dir ja, Darling«, sagte Elena tröstend.
Der VW-Transporter mit den getönten Scheiben rollte in die Auffahrt. Woodrow sprang heraus, um sich zu vergewissern, dass keine Journalisten da waren, und gleich darauf war Gloria der erste Blick auf Justin, den Witwer, vergönnt, den Mann, der innerhalb von sechs Monaten Frau und Baby verloren hatte. Justin, der betrogene Ehemann, der nicht länger betrogen werden würde. Justin, der für seine leichten Maßanzüge und seinen sanften Blick bekannt war. Ihr geheimer, im Untergeschoss zu versteckender Flüchtling, der jetzt, während er mit dem Rücken zum Publikum der Hecktür entstieg, seinen Strohhut abnahm und allen dankte – Livingstone, dem Fahrer, Jackson, dem Leibwächter, und Juma, der wie üblich nutzlos herumstand. Dazu neigte er abwesend den markanten dunklen Kopf und ging dann mit eleganten Schritten an ihnen vorbei zur Haustür. Sie sah sein Gesicht zuerst im schwarzen Schatten, dann im kurzlebigen Licht der Abenddämmerung. Er kam auf sie zu und sagte: »Guten Abend, Gloria, wie liebenswürdig von Ihnen, mich aufzunehmen«, mit einer so tapferen Beherrschung in der Stimme,
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