Der ewige Gaertner
trägt sie jetzt eine klobige Brille, ein Modell, das eher zu einem Mann passen würde. Die Russin in ihr hat, wie stets, eine Einkaufstasche dabei, und die liegt nun vor ihr auf dem Boden, voll gestopft mit Papieren, deren Inhalt sie auswendig kennt: Drohbriefe von Anwälten, das Entlassungsschreiben der Fakultät, eine Kopie ihres nicht publizierbaren Artikels, und schließlich die Briefe ihres eigenen Anwalts, aber das sind nicht sehr viele, denn erstens, erklärt sie, habe sie kein Geld, und zweitens sei ihrem Anwalt mehr daran gelegen, die Rechte der Sioux zu verteidigen, als gegen die unbegrenzten juristischen Ressourcen der Firma Karel Vita Hudson aus Vancouver zu Felde zu ziehen. Sie sitzen einander gegenüber wie Schachspieler, nur ohne Brett, ihre Knie berühren sich fast. In Erinnerung an seine Dienstzeit im Osten ermahnt sich Justin, seine Füße nicht so zu stellen, dass sie auf Lara zeigen, also sitzt er etwas schief, eine unbequeme Haltung für seinen geschundenen Körper. Sie spricht schon seit einiger Zeit zu den Schatten hinter seiner Schulter, und er hat sie kaum einmal unterbrochen. Sie ist ganz mit sich selbst beschäftigt, ihr Tonfall abwechselnd verzagt und belehrend. Sie lebt ausschließlich in der Ungeheuerlichkeit ihres Falls und in der Aussichtslosigkeit seiner Lösung. Alles hängt damit zusammen. Manchmal – ziemlich oft, wie ihm scheint – vergisst sie völlig, dass er da ist. Oder sie sieht in ihm etwas anderes – eine zaudernde Fakultätsversammlung, ein ängstliches Gremium von Universitätskollegen, einen wankelmütigen Professor, einen unfähigen Anwalt. Nur wenn er Lorbeers Namen nennt, ist sie plötzlich wieder bei ihm, sieht ihn kritisch an – und macht irgendeine rätselhafte, allgemeine Bemerkung, die ganz eindeutig eine Ausflucht ist: Markus ist zu romantisch, er ist ja so schwach, alle Männer tun schlechte Dinge, Frauen auch. Und, nein, sie weiß nicht, wo man ihn finden könnte.
»Er hat sich irgendwo versteckt. Er ist unberechenbar, jeden Morgen schlägt er eine neue Richtung ein«, erklärt sie unvermindert melancholisch.
»Wenn er von Wüste spricht, meint er damit eine richtige Wüste?«
»Er meint einen Ort, an dem es sehr ungemütlich ist. Auch das ist typisch für ihn.«
Um ihre Sache vorzutragen, hat sie Ausdrücke gelernt, die er bei ihr nicht vermutet hätte: »Ich spule jetzt mal vor … KVH macht keine Gefangenen.« Sie spricht sogar von »meinen Patienten in den Todeszellen«. Und als sie ihm einen Anwaltsbrief in die Hand drückt und er zu lesen anfängt, zitiert sie daraus, damit er nur ja nicht die empörendsten Stellen verpasst:
Ich erinnere Sie noch einmal daran, dass es Ihnen gemäß Vertraulichkeitsklausel in Ihrem Vertrag ausdrücklich untersagt ist, diese Falsch- information an Ihre Patienten weiterzugeben … Hiermit werden Sie offiziell abgemahnt, mündlich oder auf irgendeine andere Weise die unzutreffenden und böswilligen Unterstellungen zu verbreiten, die lediglich auf der Fehlinterpretation von Daten beruhen, von denen Sie als Mitarbeiterin der Firma Karel Vita Hudson Kenntnis erlangt haben …
Und dann die ungemein arrogante und unlogische Schlussfolgerung: »Unsere Klienten bestreiten entschieden, dass sie jemals auf irgendeine Weise den Versuch unternommen haben, eine begründete wissenschaftliche Debatte zu unterdrücken oder zu beeinflussen …«
»Aber warum haben Sie diesen verfluchten Vertrag überhaupt unterschrieben?«, fährt Justin schroff dazwischen.
Erfreut über seine Feindseligkeit, lacht sie freudlos auf. »Weil ich ihnen vertraut habe. Weil ich dumm war.«
»Sie sind alles andere als dumm, Lara! Sie sind eine hochintelligente Frau, Herrgott noch mal«, ruft Justin.
Beleidigt verfällt sie in grüblerisches Schweigen.
***
Die ersten zwei Jahre, nachdem die Firma Karel Vita das von Lara Emrich und ihrer Kollegin Kovacs entdeckte Molekül durch Vermittlung von Markus Lorbeer erworben hatte, waren eine phantastische Zeit, erzählt sie. Die ersten Kurzzeittests brachten exzellente Resultate, die Statistiken ließen sie noch besser aussehen, und die ganze wissenschaftliche Welt sprach über das Team Emrich-Kovacs. KVH sorgte für gut ausgestattete Forschungslaboratorien, technisches Personal, klinische Tests in der gesamten Dritten Welt, Reisen erster Klasse, die besten Hotels, Ruhm und Ehre und Geld in Hülle und Fülle.
»Für die leichtsinnige Kovacs ging ein Traum in Erfüllung. Rolls-Royce fahren,
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