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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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antworten. Ihre Tasche unter den Arm geklemmt, ein Knie am Boden, versucht er, den Schlüssel ins Schloss der Beifahrertür zu bekommen. Er kratzt mit den Fingernägeln das Eis weg, die Haut bleibt am Metall kleben, seine Muskeln brüllen so laut wie die Stimmen in seinem Kopf. Lara zerrt an der Einkaufstasche und schreit ihn an. Als die Wagentür aufgeht, packt er Lara am Arm.
    »Lara. Um Himmels willen. Seien Sie jetzt bitte so freundlich und hören Sie auf zu schreien. Steigen Sie ein. Sofort !«
    Die höflichen Worte sind wohl überlegt. Sie starrt ihn ungläubig an. Er hat ihre Tasche in der Hand. Er wirft sie ins Auto. Lara springt hinterher wie ein Hund hinter einem Ball, und als sie auf dem Beifahrersitz landet, schlägt Justin die Tür zu. Dann tritt er auf die Straße und geht um den Wagen herum. In diesem Augenblick überholt das zweite Taxi das erste und rast auf ihn zu. Mit einem Satz ist er wieder auf dem Bürgersteig. Der vordere Kotflügel des Taxis schnappt vergeblich nach seinem wehenden Mantel, als es an ihm vorbeirauscht. Lara stößt von innen die Fahrertür auf. Beide Taxis halten mitten auf der Straße, etwa vierzig Meter von ihnen entfernt. Justin dreht den Schlüssel im Zündschloss. Die Scheibenwischer sind festgefroren, aber die Heckscheibe ist einigermaßen frei. Der Motor hustet wie ein alter Esel. So spät nachts?, sagt er. Bei diesen Temperaturen? Ich? Justin dreht den Schlüssel noch einmal um.
    »Ist überhaupt Benzin im Tank?«
    Im Rückspiegel sieht er, wie aus jedem der beiden Taxis zwei Männer steigen. Die zwei, die vorher nicht zu sehen gewesen waren, hatten offenbar auf der Rückbank gelegen. Einer hat einen Baseballschläger in der Hand, ein anderer einen Gegenstand, den Justin nacheinander für eine Flasche, eine Handgranate und einen Totschläger hält. Alle vier Männer gehen zielstrebig auf Laras Auto zu. Mit Gottes Hilfe springt der Motor endlich an. Justin gibt Gas und löst die Handbremse. Aber der Wagen hat Automatikschaltung, und Justin kann sich ums Verrecken nicht erinnern, was er als Nächstes tun muss. Er hat den Hebel auf Drive gestellt, tritt aber gleichzeitig auf die Bremse, bis es ihm dämmert. Mit einem Ruck fährt der Wagen an, schlingernd und widerwillig. Justins Finger umklammern das eisige Steuerrad. Die Männer im Spiegel verfallen in Trab. Justin gibt vorsichtig Gas, die Vorderräder quietschen und rumpeln, aber trotz allem rollt das Auto irgendwie weiter und nimmt, zur Bestürzung der Verfolger, die jetzt nicht mehr traben, sondern rennen, tatsächlich langsam Fahrt auf. Sie haben die passende Kleidung gewählt, bemerkt Justin, weite Trainingsanzüge und Turnschuhe. Einer hat eine Matrosenmütze mit Bommel auf dem Kopf, es ist der mit dem Baseballschläger. Die anderen tragen Fellkappen. Justin sieht zu Lara hinüber. Sie hat eine Hand am Mund und beißt sich auf die Finger. Mit der anderen Hand klammert sie sich an der Konsole vor ihr fest. Ihre Augen sind geschlossen, und sie flüstert etwas vor sich hin, vielleicht ein Gebet, und das verwirrt Justin, denn bis zu diesem Moment hatte er sie, anders als ihren Liebhaber Lorbeer, für gottlos gehalten. Sie verlassen den kleinen Platz und holpern durch eine schlecht beleuchtete Straße mit Reihenhäusern, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben.
    »Wo ist der hellste Teil der Stadt? Wo ist am meisten los?«, fragt er.
    Lara schüttelt den Kopf.
    »Wo ist der Bahnhof?«
    »Das ist zu weit. Ich hab kein Geld.«
    Sie glaubt anscheinend, sie beide würden zusammen die Flucht ergreifen. Rauch oder Dampf quillt unter der Kühlerhaube hervor, und der abscheuliche Gestank von brennendem Gummi erinnert Justin an die Studentenkrawalle in Nairobi, aber er nimmt den Fuß nicht vom Gas, und während er im Rückspiegel immer noch die Verfolger sieht, denkt er, was für Trottel das sind und wie schlecht sie das alles machen, was wohl an ihrer Ausbildung liegen muss. Und dass ein besser geführtes Team niemals gleich beide Autos zurückgelassen hätte. Und dass sie – oder auch nur zwei von ihnen –, wenn sie noch einen Funken Verstand hätten, auf der Stelle kehrtmachen und zu ihren Taxis zurücklaufen würden, aber das scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen, vielleicht, weil sie allmählich doch etwas aufholen und alles nur darauf ankommt, wer als erster aufgibt: das Auto oder sie. Ein Schild weist in englisch und französisch auf das Herannahen einer Kreuzung hin. Als Hobbyphilologe muss er unwillkürlich die

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