Der ewige Gaertner
beiden Sprachen vergleichen.
»Wo ist die Klinik?«, fragt er.
Sie nimmt die Finger aus dem Mund. »Es ist Dr. Lara Emrich nicht gestattet, das Klinikgelände zu betreten«, sagt sie mit leiernder Stimme.
Er lacht, aber nur, um sie aufzumuntern. »Oh, tja, dann können wir da ja nicht hin. Wenn’s doch verboten ist. Na los. Welche Richtung?«
»Nach links.«
»Wie weit?«
»Unter normalen Umständen würde es nicht sehr lange dauern.«
»Wie lange?«
»Fünf Minuten. Wenn kein Verkehr ist, geht’s noch schneller.«
Es ist kein Verkehr, aber unter der Kühlerhaube quillt Dampf oder Rauch hervor, sie fahren auf überfrorenem Kopfsteinpflaster, der Tacho meldet optimistische zwanzig Stundenkilometer, die Männer im Rückspiegel zeigen keinerlei Anzeichen von Ermüdung, und zu hören ist nichts als das schwerfällige Quietschen kreisender Felgen, laut wie tausend Fingernägel, die über Schiefertafeln kratzen. Zu Justins Verblüffung weitet sich die Straße plötzlich zu dem vereisten Exerzierplatz. Vor ihm taucht, hell angestrahlt, das Torhaus mit den Türmchen und dem Dawes-Wappen auf, und links erblickt er den mit Efeu bewachsenen Pavillon und die drei Hochhäuser aus Stahl und Glas, die wie Eisberge dahinter aufragen. Er wirft das Steuer nach links und tritt noch fester aufs Gaspedal, aber das nützt nichts. Die Tachonadel steht auf null, lächerlich, sie bewegen sich ja noch, wenn auch nur so gerade eben.
»Wen kennen Sie hier?«, schreit er Lara an.
Die Frage hatte sie sich anscheinend auch schon gestellt. »Phil.«
»Wer ist Phil?«
»Ein Russe. Krankenwagenfahrer. Jetzt aber zu alt.«
Sie greift nach hinten, nimmt ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Tasche – keine Sportsmans –, zündet eine an und hält sie Justin hin, aber er nimmt sie nicht.
»Die Männer sind weg«, sagt sie und raucht die Zigarette selbst.
Wie ein treues Ross, das seinen letzten Lauf getan hat, gibt das Auto den Geist auf. Die Vorderachse bricht, beißender schwarzer Rauch quillt aus der Kühlerhaube, und ein furchtbares Knirschen unter ihnen macht deutlich, dass der Wagen hier auf dem Exerzierplatz seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Beobachtet von einem Pärchen drogenäugiger Cree in Steppmänteln, klettern Justin und Lara ins Freie.
* **
Phils Geschäftsräume befanden sich in einer weißen Holzhütte neben dem Krankenwagenparkplatz. Die Einrichtung bestand aus einem Hocker, einem Telefon, einem kreisenden roten Licht, einer Elektroheizung mit Kaffeeflecken und einem Kalender, auf dem immer Dezember war, ein Monat, in dem eine leicht bekleidete Weihnachtsmännin einem dankbaren Chor von Sängern ihr nacktes Hinterteil darbietet. Phil saß auf dem Hocker und telefonierte. Er trug eine Ledermütze mit Ohrenklappen; auch sein Gesicht schien aus Leder zu sein, rissig, zerfurcht, und doch wie poliert und mit silbrigen Bartstoppeln übersät. Als er Laras Stimme hörte, die ihn auf Russisch anredete, tat er, was alte Gefangene tun: Er hielt den Kopf still und starrte mit halb zugekniffenen Augen vor sich hin, während er auf irgendeinen Beweis dafür wartete, dass sie tatsächlich ihn meinte. Erst als er sich ganz sicher war, sah er sie an und wurde, wie russische Männer in Gegenwart schöner, jüngerer Frauen zu sein pflegen: ein bisschen geheimnisvoll, ein bisschen schüchtern, ein bisschen schroff. Justin kam es vor, als sprächen die beiden unnötig lange. Lara stand die ganze Zeit in der Tür, Justin wie ein heimlicher Liebhaber in ihrem Schatten, und Phil saß, die knorrigen Hände gefaltet im Schoß, auf seinem Hocker. Sie plauderten – nahm Justin an – über ihre Familien und was Onkel X oder Vetter Y so trieben, bis Lara schließlich zurücktrat, um den alten Mann durch die Tür zu lassen; als er sich an ihr vorbeischob, legte er ihr ziemlich unbegründet die Hände auf die Hüften und trottete dann die Rampe zu einem unterirdischen Parkhaus hinunter.
»Weiß er, dass Sie hier Hausverbot haben?«
»Das ist nicht wichtig.«
»Wo geht er hin?«
Keine Antwort, es war aber auch keine erforderlich. Neben ihnen hielt ein glänzender neuer Krankenwagen, und am Steuer saß Phil mit seiner Lederkappe.
***
Laras Haus war neu und luxuriös und gehörte zu einer vornehmen Siedlung am See, die die Firma Karel Vita Hudson, Basel, Vancouver und Seattle, für ihre Lieblingssöhne und -töchter errichtet hatte. Sie schenkte Justin einen Whisky und sich selbst einen Wodka ein, sie zeigte ihm den Whirlpool, führte
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